Logbuch vom 06.03.2023
Am heutigen Montag, den 06. März 2023, segeln wir bei bestem Sonnenschein und schöner nordatlantischer Dünung auf Kurs 105°. Bei NW-Wind der Stärke 6 läuft das Schiff trotz gereffter Segel 6,5 Knoten und alle genießen die fast sommerlichen Temperaturen von 22 Grad.
Mit dem Auslaufen von den Bermudas sind wir auf eine der seglerisch anspruchsvollsten Etappen unserer Reise gestartet. Mittwoch und Donnerstag bescherten uns noch wenig Wind, sodass alle – trotz merklicher Atlantikdünung und rollendem Schiff – recht schnell die Seekrankheit wieder überwinden konnten.
Freitag und Samstag fand erneut Unterricht statt, wobei wir an diesen eher ruhigen Tagen ein paar Stunden von nachfolgenden Tagen vorziehen konnten. So wurden beispielsweise die letzten Stunden im Wahlpflichtfach unterrichtet. Gerade mit Blick auf die geplante Schiffsübergabe zu den Azoren ist hiermit auch die Ausbildung in astronomischer Navigation abgeschlossen und es finden sich regelmäßig Gruppen von Schüler*innen im Navigationsraum, die die praktische Anwendung üben und mittels Sonnenstand unsere Position ermitteln. Zudem wurde am Freitag erneut in den Projekten gearbeitet. Auch ein Vortrag von Lia zum Thema des deutschen Kolonialismus fand interessierte Zuhörer.
Am Samstag fand unser traditioneller Start ins Wochenende statt: nach dem Unterricht erfreute sich die Thor der wöchentlichen besonders gründlichen „Groß-Reinschiff“-Reinigung bevor die Besatzung mit der Versteigerung der Lost & Found Artikel, einem Vortrag von Janne zum Thema Tiefsee und musikalischen kulturellen Beiträgen bei Besanschot-An ins wohlverdiente Wochenende startete. Als Vorfilm zum regelmäßigen Filmabend hatten Alex und Christian einen kleinen kulturellen Beitrag vorbereitet: bei „Knigge auf See“ ging es in kurzen Videoclips mit gutem und schlechtem Beispiel um Manieren am Essenstisch. Neben einigen Lachern und Schmunzlern sorgte der Film sicher für die ein oder andere Erkenntnis, die nun in die Tat umgesetzt werden darf.
Bei bestem Wetter konnten wir den gestrigen Sonntag genießen. Vormittags wurde das Programm durch Joschuas Referat „Optische Phänomene“ bereichert. Der restliche freie Tag wurde u.a. mit nähen, lesen, spielen, sonnen und entspannen genossen.
Auch der heutige Montag war ein Highlight. Pünktlich mit dem Ende des Vormittagsunterrichts und zu Beginn des Mittagessens wurde ein Finnwal gesichtet und hat uns über vier Stunden begleitet. Der Wal kam immer wieder bis auf wenige Meter an das Schiff heran und tauchte unter der Thor hindurch – ein Erlebnis, das es so nur auf See zu bestaunen gibt. Im Anschluss feierten wir bei bestem Sonnenschein und Waffeln mit Vanilleeis und heißen Himbeeren Judiths Geburtstag.
Aus seglerischer Perspektive haben wir seit den Bermudas 696 Meilen zurückgelegt. Wie zu dieser Jahreszeit üblich, ziehen Tiefdruckgebiete wie auf einer Perlenkette von West nach Ost über den Nordatlantik, wobei sich diese aktuell eher ungewöhnlich weit in den Süden schieben. Dies veranlasste uns, bereits ab den Bermudas einen südöstlichen Kurs zu laufen, anstatt den direkten Weg zu den Azoren zu wählen. Einerseits wollen wir in den südlichen Sektoren der Tiefdruckgebiete bleiben, wo uns westliche Winde die Überfahrt gen Osten ermöglichen. Andererseits halten wir uns mit dieser sehr südlichen Route frei von den stürmischsten Regionen der Sturmtiefs.
Gegen Mitte der Woche erwarten wir ein großflächiges Sturmtief über dem Nordatlantik. Mit unserer südlichen Route vermeiden wir die Regionen des stärksten Windes, sodass wir nur die Ausläufer der Warm- und Kaltfronten abbekommen sollten. Dennoch stehen uns einige Tage mit stürmischem Wind und hoher Dünung bevor, auf die wir aber gut vorbereitet sind. Nach Durchzug des Tiefs planen wir, wieder einen nördlicheren Kurs in Richtung Azoren einzuschlagen.
Während in den letzten Tagen eine Erkältung manche Besatzungsmitglieder heimgesucht hat, sind nun alle wieder fit oder auf dem Weg der Besserung. Ansonsten sind alle wohlauf, die Stimmung ist sehr gut und wir genießen es, auf See zu sein.
Bis zu den Azoren liegen noch 1.350 sm vor uns.
Dr. Christian Haehl, Kapitän und Judith Erhardt, Projektleiterin an Bord