Realität

Für viele von uns war diese Reise lange Zeit sehr unreal. Und bis jetzt, kurz vor Beendung der Atlantiküberquerung, begreifen die meisten immer noch nicht, was das alles hier eigentlich bedeutet.

Wir alle hatte unsere Erwartungen an die Reise: in unsere Bewerbungen schrieben wir, dass wir Verantwortung übernehmen, an unsere Grenzen stoßen, etwas völlig Außergewöhnliches machen wollen. Und das wollten wir auch, nur waren es zu dem Zeitpunkt vor jetzt fast zehn Monaten nur Worte, diese Reise weit entfernt, sogar unwahrscheinlich. Und jetzt ist es Realität und das kann jeder eigentlich täglich in zahlreichen Momenten merken, wenn er nur ein bisschen darauf achtet.

Die Erwartungen aus der Bewerbung wurden in den letzten beiden Tagen besonders real. Die Schiffsübergabe stand an und das konnte man schon am Montag deutlich spüren. Ich hatte Backschaft, und normalerweise stehe ich in der Kombüse und bekomme sonst nicht viel vom Schiffsbetrieb mit. Aber an dem Tag konnte ich die angespannte Stimmung vom letzten Stress der Etappe bis in die Kombüse spüren. Überall saßen Leute, die ihre Bewerbung schrieben oder sich wenigstens über die nächsten Tage unterhielten.

Am Dienstag merkte man allen die aufgeregte und vorfreudige Stimmung den ganzen Vormittag an. Bis die Besetzung der Positionen verkündet wurde, machten wir Reinschiff und übernahmen die Wache, da der Stamm die Positionen vergab. Ich stand am Ruder, vor mir das Schiff und die riesigen Segel und viele KUSis liefen geschäftig an Deck hin und her und putzten. Der Wind hat in den Tagen davor stark zugenommen, deshalb sah das Meer wild aus, graublau mit Schaumkronen und ab und zu Gischt. Und wenn ich mich umsah, konnte ich einige Wolken beobachten, die sich am Horizont gefährlich dunkel verfärbten. Innerhalb von ein paar Minuten hatte die Regenfront unser Schiff erreicht und es fing an zu nieseln, dann richtig zu schütten. Nach ein paar Sekunden war meine Kleidung vollkommen durchnässt, das Meer und der Himmel verschwammen zu einer einzigen Masse aus Regentropfen. Die Leute an Deck waren mittlerweile in Badesachen am Putzen und standen so im strömenden Regen. Und in diesem so besonderen Moment dachte ich mir: Genau deswegen bin ich hier, um so etwas zu erleben. An solch besondere Momente hatte ich in meiner Bewerbung gedacht.

Nach dem Mittagessen versammelten wir uns dann endlich auf dem Achterdeck. Und endlich las unser Kapitän Christian feierlich die vergebenen Positionen vor: Die neue Projektleitung Lennart und Johanna, die Steuerfrauen Paulina und Lilly, die Wachführer, Proviantmeister und all die anderen KUSis, die nun das Schiff in die Karibik führen sollten, sah man mit einem Lächeln im Gesicht. Doch der Moment hielt nicht allzu lange an, die Verantwortung rief. Um das Schiff zu übergeben, mussten die Route bis zum Ankerplatz und der Plan für die nächsten Tage besprochen und vorbereitet werden. Die Verantwortung, die wir seit der Bewerbung als Herausforderung sahen, lag nun plötzlich bei uns, die Verantwortung, einen Dreimaster und 50 Personen sicher in die Karibik zu bringen.

Viel Zeit, sich auf die bevorstehende Herausforderung vorzubereiten, blieb nicht, eine halbe Stunde, nachdem die Planung abgeschlossen, der Besatzung vorgestellt und die Thor mit einem Händedruck an die neue Kapitänin Carla übergeben war, fand das erste Manöver unter Leitung von uns Jugendlichen statt. Wir halsten, um auf einen günstigeren Kurs zu kommen und obwohl wir das im Laufe der zwei Monate schon einige Male getan hatten, war es nicht einfach, die Segel umzustellen, alles zum perfekten Zeitpunkt und richtig zu machen.

Später am Tag fuhren wir aufgrund eines Winddrehers erneut eine Halse, dieses Mal schon fast in der Dunkelheit und nach einem langen Tag. Aus diesen Stunden konnten wir alle viel mitnehmen, entweder die Fähigkeit, die Verantwortung für große Entscheidungen zu tragen oder die, durchzuhalten, nicht aufzugeben und vielleicht zu erkennen, dass in einem mehr steckt als gedacht, wenn man nur in einer so besonderen Situation ist wie an diesem Tag. Wir alle freuen uns unglaublich, morgen die Etappe abschließen und zufrieden auf alles Erreichte und Gelernte in diesen drei Wochen zurückblicken zu können.

KUS-Ticker

Montag, 12.12.2022

Mittagsposition: 12°12,6’N; 056°47,0’W
Etmal: 113,8 sm
Wetter: bedeckt; Temperatur: Luft 28,5°C, Wasser 28,5°C; Wind: NE 3

  • 10:00 Uhr Deutsch Test
  • 15:00 Uhr Geburtstagskaffee Johannes L
  • 17:30 Uhr Delfinsichtung Zügeldelfine
  • 18:00 Uhr ,,lebender Adventskalender“: Flüsterpost übers Schiff von Lilly und Esther
  • 20:00 Uhr Bewerbungsschluss Schiffsübergabe

Dienstag, 13.12.2022                                    

Mittagsposition: 12°24,6‘N; 058°32,6’W
Etmal: 197 sm
Wetter: bedeckt; Temperatur: Luft 27,5°C, Wasser 27° C; Wind: E 4

  • 10:30 Uhr Böe
  • 15:00 Uhr Beginn Schiffsübergabe
  • 15:30 Uhr Halse unter Leitung der KUSis
  • 19:00 Uhr Weihnachtsgedicht von Carla und Elisa
  • 19:30 Uhr erneute Halse