Wenn die Messebänke zu Rutschen werden
Wenn man beim Frühstück nach Orangensaft, Tee, Kaffee oder anderem fragt, heißt es die Tasse festhalten und direkt austrinken. Ansonsten fliegen die Becher und Tassen ganz schnell mal durch die Messe und landen auf der gegenüberliegenden Seite, trotz Rutschmatten. Eine bequeme und entspannte Mahlzeit kann man das nicht nennen, auch weil wir durch den starken Seegang auf den Bänken von der einen Seite auf die andere rutschen, was zum Teil zu ungeplanten Kuscheleinheiten und viel Gelächter führt.
Wohl kaum einer konnte sich vorstellen, was es bedeuten sollte, als es hieß: Wir nutzen das Wetterfenster und machen uns auf in Richtung Spanien durch die Biskaya, auch wenn wir somit durch einen Sturm fahren müssen. Aber wir waren bestens vorbereitet. Unter Deck wurden die Kammern so richtig seefest gemacht und auf Deck waren andere damit beschäftigt, die Laufleinen aufzubauen und die Strecktaue und Leichenfänger nochmal zu kontrollieren und gegebenenfalls nachzuspannen. Am Abend hieß es dann Gurtpflicht an Deck für alle, damit keiner über Bord gehen kann.
Um 00:00 Uhr – Dienstagnacht begann dann langsam der Sturm! Meine Nachtwache von 0200 bis 0500 Uhr war noch sehr entspannt, da wir etwa 4 Windstärken hatten. Die Wache 3 von 0500 bis 0800 dagegen nicht mehr. Für die kamen nochmal 4 Windstärken hinzu.
Nach dem Wecken und Aufstehen am Morgen ist jeder nur noch durch die Gänge gestolpert und hat versucht die Niedergänge möglichst sicher und unfallfrei hoch- und runterzukommen. Unser Ölzeug hing auch nicht mehr gerade an den Haken, sondern ging mit jeder Welle mit. Sitzen und liegen wollten, außer der Handvoll Seekranken, keiner, da man nur von einer Seite auf die anderen kugelte. Am besten stand man einfach irgendwo eingekeilt.
Als es dann am Mittag hieß: „Du hast in einer halben Stunde Wache“ erwartete ich einen mit dunklen Wolken verhangen Himmel, kalten Wind und immer wieder Regen. Als ich aber den Kopf aus dem Niedergang streckte, eingepackt in warme Kleidung, Ölzeug und Klettergurt, blies der Wind zwar sehr stark, aber weder regnete es noch war es wirklich kalt. Gut gesichert, schafften meine Wache und ich es, ohne nass zu werden, aufs Achterdeck. Eine richtige Wachübergabe gab es nicht, da der Sturm einfach zu stark war und wir eine Schiffskrängung von über 20° hatten.
Doch anstatt uns ängstlich an die Strecktaue zu klammern, standen wir neun KUSis gut gesichert vorne auf dem Achterdeck und verfolgten voller Begeisterung wie die meterhohen Wellen unser Zuhause von der einen Seite auf die andere rollen lies und das rote Deck unter den Wassermassen weißer Schaumkronen verschwand. Der Wind verwehte die Wellenkämme so wie im Winter den Schnee und die Back vorne wurde immer wieder von über dem Schanzkleid zusammenbrechenden Wellen geflutet. Auch wir auf dem Achterdeck bekamen die ein oder andere Welle ins Gesicht.
Sicherheitsronden wurden auf die Kontrollen unter Deck beschränkt und für die Maschinenronden mussten wir zuerst die Jacken und Gurte in den Gängen ausziehen.
Im Großen und Ganzen war die Fahrt durch die Biskaya vergleichbar mit einer Achterbahnfahrt, nur besser. Jetzt wird es erstmal wieder ruhiger. Heute Mittag haben wir in Santander, Spanien, angelegt und wie es weiter geht, sehen wir in den nächsten Tagen.
PS: Bruderherz, ich wünsche Dir alles Gute zum Geburtstag! Fühl dich ganz fest gedrückt von mir und ich habe dich lieb! Als Geschenk schick ich dir eine Portion Wellen aus der Biskaya.
KUS-Ticker
Mittwoch, 25.10.2023
Mittagsposition: 34°35,2’N; 003°51,1’W
Etmal: 149 sm
Wetter: Lufttemperatur: 16°C, Wassertemperatur: 17,5°C
- 11:45 Uhr: Signal „K“
- 13:30 Uhr: Anlegemanöver in Santander