Von Grenzen, Expeditionen und dem Leben eines Mannes

Datum: 11.11.2024
Mittagsposition: Hafen Santa Cruz de Tenerife

„Grenzen? Ich habe noch nie eine Grenze gesehen, aber ich habe gehört sie existieren in den Köpfen mancher Menschen.“ Mit diesen Worten des berühmten Forschers und Namensgebers unseres Schiffes, Thor Heyerdahl, begann unsere Reise vor nun fast einem Monat in Kiel. Ein Zitat, das inzwischen alle an Bord kennen, von einem Mann, über den wir noch viel zu wenig wussten. Jeder an Bord hatte bereits von Thor Heyerdahl und seinen Expeditionen gehört, aber niemand wusste wirklich, wer der Namensgeber unseres Schiffes war, als Person und als Wissenschaftler.

Bei diesem Wissensdefizit darf es bei KUS natürlich nicht bleiben. Daher startete am Montag unser zweiter Gruppenausflug ins Museum „Piramides de Güimar“, welches von Thor Heyerdahls Expeditionen und seinen Forschungen in Güimar berichtet. Als wir angekommen sind, haben wir alle für ein strahlendes Gruppenfoto für die Website posiert – da hat es sich doch noch für einige gelohnt, am Morgen nochmal unter unsere neue Salzwasserdusche zu springen. In der Bibliothek des Museums, in welcher normalerweise Wissenschaftler tagen und zu der die Öffentlichkeit eigentlich keinen Zugang hat, durften wir dem fünften Referat der Reise lauschen und haben erstmals mehr erfahren über das Leben und die Forschungsreisen von Thor Heyerdahl.

Angefangen mit seiner Abneigung gegen das Erlernen der Kunst zu schwimmen, über seine Vorliebe zur Zoologie im Jugendalter bis hin zu seinem Studium der Zoologie und Geografie in Oslo ab 1933. Thor Heyerdahl verbrachte im Jugendalter sehr viel Zeit in der Natur, wodurch er zu dieser eine starke Verbindung entwickelte. Sein erstes Projekt startete 1936 in Fatu Hiva unter dem Titel „Back to the nature“. Von da an war er ständig unterwegs auf Forschungsreisen und schließlich machte er eine Entdeckung, die sein Leben verändern sollte: Er erkannte, dass durch den Passatkreislauf Winde und Meeresströmungen alles nach Westen trieben. Erstaunlich daher, dass der vorherrschenden wissenschaftlichen Meinung zufolge Polynesien von Westen her, also von Asien aus besiedelt wurde. Somit fing Thor Heyerdahl an zu forschen. Er entdeckte, dass die Flora Südamerikas und Polynesiens teilweise übereinstimmte. Doch viel interessanter waren die Überschneidungen in der Mythologie. In Polynesien heißt es, dass eines Tages ein Mann namens Tiki aus dem Osten kam und als Urahn der Polynesier gilt.

Die Inka hatten einen Sonnengott namens Kon Tiki, der eines Tages nach Westen hin aufgebrochen sein soll, jedoch nie zurückkehrte. Könnten dieser Kon Tiki und Tiki nicht ein und dieselbe Person gewesen sein? Diese Frage stellte sich auch Thor Heyerdahl und entwickelte die Theorie, dass die Ureinwohner Südamerikas bereits mit Schilfbooten bis nach Polynesien gereist sein könnten. Diese Theorie wurde von anderen Forschern jedoch schnell verworfen und abgelehnt, da laut den Wissenschaftlern die Schilfboote der Ureinwohner Südamerikas niemals in der Lage gewesen wären, eine solch weite Reise zurückzulegen. Doch Thor Heyerdahl glaubte nicht an Grenzen, er glaubte nicht daran, dass etwas unmöglich war, nur, weil es sich jemand von seinem bequemen Schreibtisch aus nicht vorstellen konnte und die frühen Hochkulturen aus seiner Sicht unterschätzte. Er hat nie behauptet, dass seine Theorien, die einzig möglichen sind oder auf jeden Fall zutreffen. Also tat er das Einzige, was die Welt davon überzeugen konnte, dass etwas, was unmöglich erscheint, durchaus möglich ist: Er baute ein Schilfboot, so wie es die Ureinwohner Südamerikas nutzten. Hierfür stützte er sich primär auf alte Überlieferungen.

Als nächstes suchte er sich ein Team zusammen und stach, trotz weiterhin fehlender Schwimmkenntnisse, am 28.04.1947 in Peru in See. Seine Expedition war erfolgreich: Nach Wochen auf See erreichte das Forscherteam Polynesien. Dadurch hatte Thor Heyerdahl nicht nur bewiesen, dass die Ureinwohner Südamerikas viel fähiger in der Seefahrt waren, als man dachte, sondern auch, dass die gesamte Seefahrt vor Kolumbus von Forschern unterschätzt wurde.

Auf die Kon Tiki-Expedition folgten schon bald zwei weitere, die Ra-Expeditionen, bei denen er erneut durch eine Reise mit einem alten, nachgebauten Schilfboot bewies, dass man nichts als unmöglich abstempeln sollte, dass es keine Grenzen gab. Dies gilt sowohl bei den Fähigkeiten der Ureinwohner als auch in unserer heutigen Welt. Die Teilnehmer, die er für seine dritte große Reise, die Tigris-Expedition rekrutierte, stammten alle aus unterschiedlichen Nationen: Es gab Forscher aus Russland, Amerika, China, Japan und noch einigen anderen. Dadurch entstand ein wild durchgemischtes Forscherteam. Für Deutschland nahm der Nautiker Detlef Soitzek teil, auch bekannt als unser jetziger Kapitän auf der Thor Heyerdahl bei KUS. Detlef erzählte uns mehr vom Leben an Bord der Tigris, wie gekocht wurde, was sie aßen, wie sie auf Toilette gingen und wie die Kommunikation unter den Teilnehmern ablief. Bordsprache war Englisch, doch einige Teilnehmer sprachen kein Englisch, also verständigte man sich mit Händen und Füßen. Der japanische Teilnehmer hatte zu Hause ein Fischrestaurant, also bereitete er auch an Bord leckere Fischspeisen zu. So brachten alle ihre Stärken in die Gruppe ein, die verschiedenen Nationalitäten wurden eher an Land ein kleines Problem, wo häufig eine der Nationalitäten weniger erwünscht war. Doch dank Thor Heyerdahls inzwischen erlangter Berühmtheit wurde doch immer das gesamte Team an Land aufgenommen. Die Expedition musste jedoch frühzeitig in Dschibuti beendet werden – wegen des Krieges vor Ort war es den Forschern nicht möglich, die Reise fortzusetzen. Als Zeichen für den Frieden wurde die Tigris in Dschibuti verbrannt.

Thor Heyerdahl glaubte nicht an Grenzen, weder in der Wissenschaft noch zwischen uns Menschen. Seine Witwe Jacqueline erzählte uns in einem Interview noch mehr über Heyerdahls Persönlichkeit und berichtete von ihren gemeinsamen Erlebnissen. Was die Menschen am meisten an Thor Heyerdahl schätzten, waren seine starke Persönlichkeit, sein Enthusiasmus, seine Leidenschaft und sein riesiges Wissen, mit dem er jede Frage beantworten konnte. Doch wie so oft bekam Thor Heyerdahl zu Lebzeiten von der Außenwelt nicht immer diese Wertschätzung zu spüren. Oft sah er sich mit Kritik und Neid konfrontiert, sogar noch drei Wochen vor seinem Tod. Diese ständige Ablehnung hat Thor Heyerdahl sehr getroffen, jedoch gab er nie auf. „He was always thinking, always fighting.“ Dies wiederholte Jacqueline im Laufe des Interviews immer wieder. „Er war ein guter Kapitän”, fügte Detlef hinzu. Unser Kapitän bewunderte Thor Heyerdahl sehr und als er nach einem Namen für sein neu restauriertes Schiff suchte, musste er gar nicht lange überlegen: Er taufte sein Schiff „Thor Heyerdahl“. Er taufte es nach einem Mann, der nicht an Grenzen glaubte, der die Natur und unseren Planeten liebte und schon vor der Klimakrise darauf aufmerksam machte, dass wir unsere Erde bewahren und behüten müssen, dass wir Probleme lösen und in Frieden leben sollten.

Ein Schiff, auf dem wir bei „Klassenzimmer unter Segeln“ ebenfalls eine große Reise unternehmen dürfen.
Thor Heyerdahl gab nie auf. So waren dies auch die Worte, die uns Jacqueline mit auf den Weg gab: Wenn ihr einen Traum habt, dann lasst ihn wahr werden. Auch wenn ihr auf Schwierigkeiten stoßt, wenn ihr es nur genug wollt, werdet ihr alles schaffen.“

Diese Worte und Thor Heyerdahls Vorbild werden uns auf unserer Reise um die halbe Welt begleiten, einer Reise in fremde Länder, zu indigenen Völkern, auf einer Reise, auf der wir unsere Natur zu schätzen lernen und auch, nicht aufzugeben.

KUS-Ticker

Montag, 11.11.2024

  • 11:00 Uhr: Fahrt nach Güimar
  • 12:00 Uhr: Referat von Clemens über Thor Heyerdahl
  • 13:00 Uhr: Interview mit Jacqueline Heyerdahl
  • 13:30 Uhr: Dokumentarfilm über Thor Heyerdahls Arbeit
  • 13:45 Uhr: Berichte von Detlef zur Tigris-Expedition
  • 14:00 Uhr: Eigenständiges Erkunden des Museums
  • 15:00 Uhr: Rückfahrt zur Thor
  • 15:45 Uhr: Schülerversammlung
  • 16:15-22:00 Uhr: Landgang