Seitenwechsel
Datum: 12.10.2025
Mittagsposition: Heikendorf Reede
Etmal: 2 sm
Wetter: Lufttemperatur: 14 °C, Wassertemperatur: 14 °C, Windrichtung und Stärke: S1
Ich schlage die Augen auf. Von draußen hört man die gedämpften Stimmen der Ex-KUSis, begleitet von lieblichen Ukulelen-Klängen. Als die Tür geöffnet wird, bin ich aber schon längst aus der Koje gesprungen und meine Gedanken schlagen Saltos: „Heute ist es endlich so weit. Heute ist der Tag, in den alle Geschehnisse der letzten beiden Jahre gipfeln. Heute bricht die Thor Heyerdahl mit mir an Bord zur KUS-Reise 25/26 auf!“ Beim Frühstück ist die Anspannung in der ganzen Messe spürbar und nachdem wir in die Wachen für die erste Etappe eingeteilt wurden und Ruth uns den Ablauf des Vormittags präsentiert hat, heißt es noch einmal „Klar-Schiff“ machen, bevor wir ein letztes Mal deutschen Boden betreten, um uns von unseren Liebsten zu verabschieden.
Mein Fuß verlässt die Gangway und auf einmal stehe ich wieder hier; hier in Kiel, wo Rosalie und ich vor einem Jahr spätabends mit dem Zug angekommen sind. Hier neben der Thor Heyerdahl, wo wir uns inmitten einer Menschentraube aus Eltern und Geschwistern, Ex-KUSis und anderen Vereinsmitgliedern von unseren Freunden vom Probetörn verabschiedet haben. Und auch jetzt verabschiede ich mich wieder von ebenjenen KUSis und wieder vergeht die halbe Stunde der letzten persönlichen Verabschiedungen wie ein Wimpernschlag.
Doch dieses Mal ist etwas anders. Dieses Mal sind wir beiden diejenigen, die sich beim dröhnenden Schiffs-Horn von ihren Verwandten lösen und sich mit KUS-Kleidung zu unseren Reisegefährten aufs ölzeugfarbene Deck stellen. Diesmal sind wir es, die beim Singen des Abschiedsliedes zu den Jugendlichen hochblicken, die sich extra für diese Zeremonie an der Hafenkante versammelt haben. Es ist, als wäre ich in einer Parallelwelt gelandet, als hätte mich das Universum die Seiten wechseln lassen, um mir zu zeigen, wie mein Leben unter anderen Umständen verlaufen wäre. Dabei ist genau das gerade mein echtes Leben; ein Leben, in dem ich doch noch mit der Thor aufbrechen und mit Erfahrungen und Freunden fürs Leben zurückkehren werde.
Und bei jeder emotionalen und bekräftigenden Rede, bei jedem musikalischen Beitrag und bei jedem Mal, wenn ich merke, wie einem KUSi neben mir eine Träne übers Gesicht kullert, realisiere ich mehr und mehr, dass gerade einer meiner größten Träume in Erfüllung geht und dass das Abenteuer meines Lebens gerade erst begonnen hat.
Je länger mir die ganze Prozedur beim letzten Mal erschienen ist, desto plötzlicher haben wir diesmal auch schon die Leinen gelöst und fahren in Richtung Abenteuer davon, während wir der tanzenden und jubelnden Menge am Ende des Stegs zuwinken.
Kaum sind wir außer Sichtweite, beginnen meine Beine zu zittern und ich schaffe es gerade noch, mich zu setzen, als all die Anspannung, der permanente Stress und das turbulente Gefühlskarussell der letzten Tage und Stunden schlagartig zum Erliegen kommen. Ich weiß nicht, wann und ob ich es jemals in Gänze realisieren werde, wirklich diese unglaubliche Reise antreten zu dürfen, aber in diesem Moment bin ich einfach nur glücklich über all die Höhen und Tiefen, die mich schlussendlich hierhergebracht haben.
Viel Zeit zum Nachdenken bleibt allerdings nicht, denn nun ist Zeit, seine Wachgruppe, mit der man bis Teneriffa die meiste Zeit verbringen wird, besser kennenzulernen. Nach einem ersten Mittagessen auf der fahrenden Thor haben wir dann endlich länger Zeit, uns auf dem Deckshaus auszuruhen und alles Geschehene langsam zu verarbeiten. Die meisten sind darüber euphorisch, dass es endlich losgeht, manche wirken hingegen noch etwas mitgenommen vom emotionalen Abschied, doch auch das verfliegt, als wir im Anschluss unsere Klettergurte anlegen und die Masten erklimmen dürfen.
Bei jedem Schritt, den ich höher klettere, wird mein Grinsen breiter, bis ich mit klopfendem Herzen meinen Blick von oben über unser neues Zuhause zum weiten Horizont schweifen lassen kann. Das hier ist sie also, die andere Seite, die Perspektive der Protagonisten, der Ausblick auf eine Reise voller Höhen und Tiefen, voller Anstrengung und Verausgabung, ja voller Abenteuer, Gemeinschaft und Lebensfreude. Die nächsten sechs Monate werden kein Wellness-Urlaub, keine Sightseeing-Tour für Instagram, stattdessen werden sie uns alle an unsere Grenzen stoßen lassen und uns dadurch die Welt mit anderen Augen erblicken lassen. Denn das Leben ist eben keine Kreuzfahrt, kein arbeitsfreies Paradies, in dem immer alles optimal verläuft. Es gibt immer wieder Rückschläge und Fehler, aus denen wir lernen können, unerwartete Situationen, aus denen wir das Beste machen müssen, aber das Wichtigste ist es dabei niemals die Hoffnung zu verlieren und für seine Ziele einzustehen, denn manchmal erhält man dann eben doch noch eine zweite Chance.
KUS-Ticker
Sonntag, 12.10.2025
- 8:00-9:00 Uhr: Rein-Schiff
- 11:00 Uhr: Auslaufen
- 16:00-18:00 Uhr: Rigg-Einweisung