Probleme im Paradies – Ein Rückblick auf die neue Welt

Datum: 16.02.2025
Mittagsposition: 31°01,1‘N; 077°08,2‘W
Etmal: 139 sm
Lufttemperatur: 23,5 °C, Wassertemperatur: 23,8 °C, Windrichtung und Stärke: ESE 5

Es ist nur sehr schwer vorstellbar, dass wir uns nun schon in dem Abschnitt befinden, den manche als Rückreise bezeichnen. Doch um etwas Rückreise nennen zu können, braucht es ja erst einmal ein Ziel, aber da gehen die Meinungen weit auseinander. Und egal wie man darüber denken mag, herrscht mittlerweile doch ein anderes Gefühl als noch vor etwa zwei Monaten. Es ist nicht mehr diese erwartungsvolle Spannung auf das, was kommt. Auch, wenn mit Bermuda, den Azoren und eventuell anderen Landaufenthalten noch mehr als genug vor uns liegt, versuchen die meisten aktuell eher die unzählbaren Eindrücke und Erfahrungen zu verarbeiten, die wir rings um das karibische Meer sammeln durften. Jetzt, da wieder Bordalltag eingekehrt ist, lohnt es sich, diese unfassbar ereignisreiche Zeit Revue passieren zu lassen, vor allem im Hinblick darauf, was wir aus ihr lernen können.

Alles begann mit diesem lauten Ruf vom Achterdeck: „Land in Sicht!“. Dieses Land, was da gesehen wurde, war die kleine Insel Bequia der Grenadinen. Für die allermeisten von uns war es das erste Mal in der Karibik und die sattgrünen Inseln, das türkisblaue Wasser und der weiße Korallensand entsprachen genau unserer Vorstellung. Dort lernten wir auch ein komplett neues Lebensgefühl kennen. Die Menschen, auf die wir trafen, begegneten uns im Kontrast zu unserem deutschen Alltag ungewohnt gut gelaunt, entspannt und lebensfroh. Nur drei Tage später ging es mit einem kleinen Zwischenstopp in einer Luxus-Marina auf Canouan weiter zu den Tobago Cays. Dort bekamen wir einen ersten Vorgeschmack darauf, dass dieses augenscheinliche Paradies vielfältig bedroht ist: Das Korallenriff, in dem wir schnorcheln durften, war zwar immer noch wunderschön, doch es war unleugbar, dass es nicht mehr lange Bestand haben würde. Doch erst beim nächsten Halt auf Union Island wurde uns eindrücklich vor Augen geführt, was wahre Zerstörung bedeutet. Selbst ein halbes Jahr, nachdem der Hurrikane Beryl über die Insel gefegt war, sah es dort aus wie in einem Kriegsgebiet und viele Menschen hatten alles verloren. Was das für ein Trauma gewesen sein musste, konnten wir nicht im Entferntesten begreifen, doch allein vom Hören der Erzählungen kamen einigen von uns Tränen. Doch leider müssen die Menschen ihre Heimat nicht nur vor der Natur, sondern auch vor Fremdinteressen verteidigen. Der Moment der „Schwäche“ nach dem Hurrikan wurde von einer Investmentfirma ausgenutzt, die ein Luxusresort in eine unter Naturschutz stehende Bucht bauen wollte – gegen den Willen der Bevölkerung versteht sich. Umso beeindruckender war es zu sehen, wie optimistisch die Menschen dort mit einer enormen Willens- und Tatkraft gehandelt haben, wofür ich nur tiefsten Respekt empfinden konnte.

Weiter ging es mit einer kurzen Seeetappe zu den Panama vorgelagerten San-Blas Inseln, wo wir zuerst bei den Kuna-Indigenen zu Gast waren. Diese leben auf teils dicht bebauten, kleinen Inseln und wir durften viel über ihre Kultur und Lebensart erfahren, wobei ihre traditionelle Nähkunst, Mola genannt, es uns besonders angetan hat und so gut wie jede Koje ist mittlerweile damit geschmückt. Doch auch hier fand man deutliche Spuren der Zivilisation in Form von Müll, der jeden Quadratmeter Strand bedeckte. Nach diesem Besuch ging es zu einer unbewohnten Inselgruppe, wo wir Neujahr feierten. Dort war das Karibikfeeling noch ausgeprägter und sogar das Riff war in einem wesentlich besseren Zustand. Ruth merkte jedoch an, dass die Inseln seit ihrem ersten Besuch um gut ein Drittel geschrumpft sind und umso trauriger war der Gedanke, dass dieser Ort in ein paar Jahrzehnten vollkommen verschwunden sein wird und die Kuna aufs Festland übersiedeln müssen, was teilweise heute schon passiert. Dorthin fuhren auch wir, wo es zunächst in den Regenwald ging. Diese ursprüngliche Natur war für alle von uns sehr beeindruckend und es war gut zu wissen, dass er zumindest hier nicht abgeholzt wird. Im starken Kontrast dazu erlebten wir Panama-Stadt, die den meisten von uns als Ort voller Gegensätze in Erinnerung blieb. So standen Wolkenkratzer von Großkonzernen direkt neben heruntergekommenen Wohnhäusern und die wunderschöne Altstadt ging nahtlos in eher ärmliche Viertel über. In der Nähe lag auch der Panamakanal, der maßgeblich für den Wohlstand dieses Landes verantwortlich war. Jedoch wurden in dem Besucherzentrum seine sozioökologischen Folgen in keiner Weise erwähnt, was einige von uns schon stutzig machte. Der soziale Kontrast zog sich durch den gesamten Landaufenthalt, so auch in den Gastfamilien in Boquete, wo es bei manchen einen 70-Zoll-Flachbildfernseher gab und andere nicht einmal über Warmwasser verfügten. Unsere Spanischkenntnisse konnten wir aber so oder so ausbauen und wenn es dann mal doch nicht reichte, konnten wir uns mit Hand und Fuß doch ganz gut verständigen. Danach fuhren wir zu den Naso-Indigenen, wo wir sehr tief in ihre Lebensweise eintauchen konnten. Sie bemühen sich, ihre alten Traditionen wieder zum Leben zu erwecken und sollen sich in naher Zukunft sogar autonom verwalten dürfen, ähnlich wie es die Kuna tun. Die Hingabe der Menschen gegenüber ihrer Gemeinschaft und der Natur war sehr beeindruckend und daher waren wir umso glücklicher, dass sie uns für vier Tage so herzlich aufgenommen haben.

Sonne, Salsa, Sozialismus – so oder so ähnlich lässt sich unser nächstes Ziel beschreiben: Kuba. Wir kamen am westlichsten Punkt in María la Gorda, einem Hotel mit einer Tauchschule, an, von wo aus wir unsere mehrtägige Fahrradtour starteten. Uns fielen direkt die starken Entbehrungen auf, mit denen die Menschen zu kämpfen hatten. Die aktuelle Wirtschaftskrise, die bereits nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion ihren Anfang nahm, war überall präsent. Trotzdem wurde versucht, das Beste aus der Situation zu machen. So sahen wir zum Beispiel immer wieder Pferdekarren mit alten Autoreifen oder Landwirtschaft völlig ohne Maschinen. In Viñales bekamen wir dann erstmals etwas von dem wachsenden Schwarzmarkt zu spüren, der langsam die Planwirtschaft untergräbt. Zum einen gibt es staatliche Geschäfte, die zwar sehr günstig sind, jedoch ist das Angebot stark eingeschränkt und zum anderen private, die westliche Waren durch Exilkubaner importieren, die dann aber wesentlich teurer sind. Dort gab es mit den Karst-Mogotes eine beeindruckende Landschaft zu bestaunen und bei einem örtlichen Straßenfest fiel uns wie so oft auf, dass Freude im Alltag trotz widriger Umstände so präsent sein kann.  Die letzte Station war dann Pinar del Río, wo wir unsere Fahrräder zusammen mit vielen anderen Spenden an eine Schule übergaben. Insbesondere der Austausch mit Gleichaltrigen war für beide Seiten sehr wertvoll und wir bekamen einen tieferen Einblick in das dortige Leben, als es irgendwie anders in dieser kurzen Zeit möglich gewesen wäre. Dabei fiel uns auch auf, wie privilegiert wir eigentlich sind, dass wir „einfach so“ die ganze Welt bereisen können und es anderen ihr Leben lang verwehrt bleibt, aufgrund ihrer Armut auch nur ein anderes Land zu sehen. Am letzten Abend gab es dort eine Abschiedsgala, bei der wir von den kubanischen Schülern, was musikalische Beiträge anging, weit in den Schatten gestellt wurden. Ihr Rhythmusgefühl beim gemeinsamen Tanzen war einfach unglaublich und wir konnten nur irgendwie hinterherdackeln. Leider endete die gemeinsame Zeit schneller, als uns lieb war und wir mussten schon nach La Habana aufbrechen. Teilweise kamen wir uns wie Staatsgäste vor, da sich immer darum bemüht wurde, dass es uns an nichts fehlt. So bekamen wir beispielsweise weit mehr zu essen, als die Umstände es eigentlich erlaubt hätten. Das führt mich auch gleich zu einem der vielen Punkte, die mich am kubanischen System so schwer beeindruckt: Die wortwörtlich grenzenlose Solidarität, die das Volk dort eint. Obwohl es dem Land offensichtlich selbst nicht gut geht, hilft Kuba auf der ganzen Welt. So wurde zum Beispiel während der Coronapandemie ein eigener Impfstoff entwickelt und kostenlos an Länder des globalen Südens verteilt. Während unserer Zeit in La Habana hatten wir aber auch viel Freizeit und so bekamen wir auch die typischen Seiten mit wie Oldtimer oder Che Guevara-Shirts. Bald schon kehrten wir aber zu unserem Zuhause zurück, das sich inzwischen in einer Marina in der Nähe befand. Doch vor unserer Abreise bekamen wir noch die Gelegenheit, den kubanischen Schülern die Thor zu zeigen und ihnen wenigstens einen kleinen Einblick in unser Leben zu geben. Was mich an der Situation in Kuba insgesamt aber am meisten ärgerte, war, wie leicht es eigentlich wäre, dieses ganze Leid zu beenden. Leider ist es durch das weiterhin bestehende Handelsembargo politisch nur nicht gewollt.

Dass in der Welt sehr vieles gerade sehr schiefläuft, sollten wir langsam begriffen haben und in der Hinsicht wird dieser Blogeintrag sicherlich auch keine neuen Erkenntnisse liefern. Doch was in den ganzen schlechten Nachrichten immer verschwiegen wird, durften wir auf dieser Reise hautnah erleben: Wie die Menschen, die unmittelbar betroffen sind, mit ebenjenen Problemen umgehen. In Europa herrscht gerade vielerorts eine sehr schlechte, fast schon depressive Stimmung, doch das Kuriose daran ist, dass niemandes Haus von einem Hurrikan dem Erdboden gleichgemacht wurde, der Durchschnittslohn weit mehr als 30 Dollar im Monat beträgt und auch in 20 Jahren der Meeresspiegel nicht auf Kniehöhe sein wird. Hier in der Karibik konnten wir Menschen erleben, die allen Widrigkeiten zum Trotz bemüht waren, ihre Zukunft zu verbessern und durch diese Willens- und Tatkraft entsteht auch Optimismus. Mich und auch viele andere KUSis hat das sehr beeindruckt und meiner Meinung nach können wir uns alle davon inspirieren lassen. Wenn wir uns einmal von Problemen erschlagen fühlen, dann hilft es vielleicht, sein Blickfeld zu weiten, sich in Erinnerung zu rufen, dass Menschen selbst in vermeidlich aussichtslosen Situationen Kraft schöpfen können und vor allem wertschätzend mit dem umzugehen, was man für selbstverständlich hält.

KUS-Ticker

Sonntag, 16.02.2025

  • 20:00 Uhr: Bewerbungsschluss 2. Schiffsübergabe