Fische füttern
Datum: 15.10.2025
Mittagsposition: 52°09,7‘N; 002°58,9‘E
Etmal: 168,6 sm
Wetter: Lufttemperatur: 14 °C, Wassertemperatur: 15 °C, Windrichtung und Stärke: N 3
Ich stehe im Ausguck auf dem Achterdeck. Um mich herum nur noch Wasser, Wellen, das Rauschen des Meeres und ein paar andere Schiffe, die ich dem Wachführer schon gemeldet habe. Die Thor Heyerdahl schwankt ganz schön hin und her, wodurch ich schon wieder ein flaues Gefühl im Magen spüre und mir wird leicht übel. Ich wende meinen Blick vom Meer ab und schaue auf das Hauptdeck. An der windabgewandten Seite des Schiffes sitzen und liegen überall andere KUSis, die wohl auch seekrank sind. Manche von ihnen haben schon eine Tüte bereit, falls sie sich gleich übergeben müssen. Andere liegen auf der Backskiste und wiederum andere sitzen da und essen einen Zwieback, den sie gerade von einem gesunden KUSi bekommen haben.
Meine Gedanken schweifen langsam ab und ich denke über unsere Gemeinschaft nach und was wohl die Seekrankheit mit dieser Gemeinschaft macht. Gemeinsam Fische zu füttern und danach darüber zu lachen, stärkt sie auf jeden Fall und man fühlt sich irgendwie verbunden mit den anderen Seekranken. Aber nicht nur das stärkt die Gemeinschaft, auch durch die Unterstützung der gesunden KUSis fühlt man sich gut aufgehoben.
Wann ist denn endlich die Seekrankheit vorbei? Und bin ich vielleicht morgen schon wieder gesund oder dauert das noch ein paar Tage? Eines ist sicher: Die erfahrenen Segler unter uns meinten, dass die Seekrankheit meistens auch wieder verschwindet, und so wird es auch sein.
Ich schaue wieder auf das Meer hinaus, denn schließlich habe ich ja Wache und muss meine Aufgabe trotz Seekrankheit noch erfüllen, aber nichts hat sich verändert. Ich merke, dass ich müde bin, aber die Übelkeit verschwindet trotzdem nicht. Inzwischen haben sich auch schon wieder ein paar von uns übergeben. In dieser Situation schweifen erneut meine Gedanken ab. Wie ist es gerade zuhause und in der Schule bei meinen Freunden? Was wäre, wenn ich jetzt zuhause wäre und meinen normalen Alltag leben würde? Und wie geht es meiner Familie und meinen Freunden?
Doch auch mit diesen Fragen im Hinterkopf und der anhaltenden Seekrankheit genieße ich die Zeit in der Wache und beim Segeln. Doch dass das Schiff jetzt für ein halbes Jahr mein Zuhause ist und die anderen KUSis und der Stamm meine Familie sind, ist mir immer noch nicht ganz klar und ich kann es auch nicht ganz realisieren. Werde ich es irgendwann realisieren oder wird einem nie klar, dass das Leben auf dem Schiff jetzt mein Alltag ist? Ich habe so viele Fragen. Dennoch kommen meine Gedanken wieder zurück in die Realität und ich höre langsame, stolpernde Schritte hinter mir.
Ich drehe mich langsam um und gucke meinem Wachführer ins Gesicht. Er schickt mich in den Navigationsraum, damit ich dort die aktuelle Position eintragen kann. Ich gebe kurz meinen Posten als Ausguck weiter und bewege mich langsam und mit taumelnden Bewegungen in Richtung Navigationsraum. Ich gehe hinein und greife nach dem Brückenbuch. Jetzt wende ich meinen Blick langsam in Richtung der GPS-Anzeige und notiere schnell die angegebene Position, denn ich merke, wie die Übelkeit zunimmt. Ich stelle eilig das Brückenbuch zurück, stürme den Niedergang so schnell wie möglich hinauf und bewege mich in Richtung Backbord-Reling, denn nun heißt es auch für mich wieder: Fische füttern!
Als ich das endlich überstanden habe, geht es mir schon deutlich besser und ich spüre die Übelkeit nicht mehr so stark. Ich übernehme deshalb wieder den Posten als Ausguck und mir wird jetzt erst klar, wie lange der Tag mir heute schon wieder vorkommt. Es fühlt sich so an, als wären an diesem einen Tag auf See schon zwei normale Tage vergangen und es ist noch nicht einmal Mittag.
Aber was ist denn da auf zwei Strich (so gibt man übrigens die Richtung zur eigenen Fahrrichtung an)? Jetzt muss ich mich wirklich konzentrieren, damit ich meinem Wachführer das neue Schiff inklusive Fahrrichtung melden kann.
KUS-Ticker
Mittwoch, 15.10.2025
- 12:45 Uhr: Schiffsversammlung