Putzen, putzen und nochmal putzen
Datum: 05.11.2025
Mittagsposition: 28°27,9‘N; 016°14‘E,
Wetter: Lufttemperatur: 25 °C, Wassertemperatur: 23 °C, Windrichtung und Stärke: –
Es ist noch dunkel draußen, als wir aus unseren Kojen an Deck stolpern. Wir, das sind ein paar wenige, denen der Sport in den letzten Wochen eindeutig zu kurz gekommen ist und die gestern entschieden haben, in aller Frühe joggen zu gehen. Eine Entscheidung, die ich gerade nochmal zu überdenken beginne. Eben noch haben wir abends Santa Cruz unsicher gemacht und ich saß danach zur nächtlichen Hafenwache an Deck, da stand schon meine Weckbeauftragte in der Kammer und hat mich aus meinem eigentlich wohlverdienten Schönheitsschlaf gerissen. Trotzdem – als wir entlang der Hafenpromenade in den Sonnenaufgang hineinlaufen, lassen die Hochgefühle, die ich vom Sport zuhause so gut kenne, nicht lange auf sich warten. Im Wasser spiegeln sich die Lichter riesiger Containerschiffe und mischen sich mit dem strahlenden Rotorange. Masten tanzen im ruhigen Hafenbecken und es fühlt sich merkwürdig an, unser 50 Meter langes Deck gegen schier endloses Land zu tauschen. So gut uns die Bewegung auch tut und so ungern wir zum Putzen an Bord zurückkehren wollen, beenden wir unseren Morning-Run schließlich doch mit einem Sprint die Pier entlang auf die Thor, unser Zuhause, zu. Dort wartet ein Tag voller Vorbereitungen für die anstehende Hygieneabnahme auf uns. Um ja kein Staubkorn zurückzulassen, wenn die Behörden an Bord kommen und die Sauberkeit unseres Schiffes bis in den letzten Winkel prüfen, starten wir eine riesige „Groß-Groß-Reinschiffaktion.“ Und die ist wohl der Inbegriff einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Deshalb ist hier eine Übersicht, über die verschiedenen Phasen, die wir den Tag über durchlaufen:
Phase 1: Prokrastination
Die Wachtreffen werden maximal in die Länge gezogen. Das Resümee über die hinter uns liegende Etappe fällt bei jedem Gesprächsteilnehmer erstaunlich wortreich aus. Jeder Versuch, das Gespräch auf das Putzen zu lenken, wird vehement abgelehnt.
Phase 2: Vorbereitungen
Die Ausführungen der Wachführer/-innen über anfallende Aufgabenbereiche werden von lautstarkem Murren und Seufzen begleitet. Die am häufigsten verbreitete Körperhaltung erinnert an einen eingefallenen Kartenturm. Die Mundwinkel hängen im Allgemeinen eher tief. Putzutensilien werden schleppenden Schrittes an ihre Stationen gebracht.
Phase 3: Motivationsschub
Musikboxen werden angeschaltet. Eine leichte Vorfreude, deren Herkunft schwer zu deuten ist, kommt auf. Lappen werden intensiver und Besen dynamischer geschwungen. Es wird fleißig im Takt der Musik gewippt und man vernimmt neben lautem Gesang sogar das ein oder andere enthusiastische Pfeifen, was Henry (unseren Bootsmann) in große Aufruhr versetzt (an Bord pfeift – wie er nicht müde wird zu betonen – nämlich nur der Bootsmann und der Wind).
Phase 4: Mittagstief
Die Bewegungen werden träge; das Summen ist längst verebbt. Stattdessen lassen sich nun immer mehr knurrende Mägen vernehmen. Zwar geht jeder weiterhin brav seiner Aufgabe nach (ich liege zum Beispiel rücklings im viel zu engen und staubigen Kartoffelboden und schwitze vor mich hin, während ich Dreck aus Ecken pule, die selbst unser Lastlord nicht zu kennen vermag), aber dabei ist stets ein Ohr ganz weit Richtung Kombüse und der Klingel zum Essen gespitzt, damit – sollte es dann so weit sein – alles umgehend stehen und liegen gelassen werden kann.
Phase 5: Monotonie
Frisch gestärkt heißt es: Alle zurück auf ihre Stationen. Eine vertraute Routine stellt sich ein. Für Abwechslung sorgen lediglich die ständig wechselnden DJs. Dennoch sind die weitverbreiteten Zornesfalten weitestgehend geglättet. Ein Schweißfilm ziert an ihrer Stelle nun zahlreiche Stirnpartien. Mit der Monotonie macht sich nämlich auch eine unangenehme Hitze (zumindest unter Deck) breit.
Phase 6: Trance
Die Blicke sind glasig und oftmals ins Leere gerichtet. Alle Handgriffe laufen auf Autopilot, während die Gedanken weit abzudriften beginnen. Die Songs wiederholen sich, aber es hört ohnehin niemand so richtig hin. Ein Schweigen legt sich über unsere Thor. Tagträume über eine Pause in der Waagerechten setzen ein.
Phase 7: Verzweiflung
Die Betrachtung unserer dreckverschmierten, frisurentechnisch leicht in Mitleidenschaft gezogenen Erscheinungsbilder führt zu allgemeinem Gelächter. Es herrscht größtes Chaos. Alles ist ausgebaut, verschleppt und umgeräumt. Beim vollbepackten Gang durch das Schiff tangiert die eigene Schuhsohle regelmäßig fremde Zehen. Aus allen Ecken kann – bei genauem Hinhören – geschäftiges Jammern und Schimpfen vernommen werden. Doch ganz nach dem Motto „Machste‘ nix“ gilt es, keine Müdigkeit vorzuschützen.
Phase 8: Endspurt
Die Devise lautet an dieser Stelle: Man drehe alle Boxen bis zum Anschlag auf und singe aus voller Kehle mit. Die letzten Feinschliffe sind zu tätigen. Dabei ist das Abklatschen nach jedem noch so kleinen Erfolg essenziell. Wer an seiner Station fertig ist, heuchelt aller größte Hilfsbereitschaft vor oder fungiert als Motivator. Lautstarkes Anfeuern ist dringendst erwünscht. Dabei sei nicht auf die nervliche Überreiztheit einzelner zu achten. Zeit für Ruhe muss sich an anderer Stelle finden lassen.
Phase 9: Erlösung
Alles ist blitzeblank. Nichts erinnert mehr daran, dass hier jemals Unordnung geherrscht hat. Alle Kisten sind verstaut und alle Putzutensilien aufgeräumt. Ein süßlicher Geruch von Reinigungsmittel liegt in der Luft, wird aber von etwas ganz Anderem überlagert: Pizza! Das bekannte Strahlen kehrt auf die Gesichter zurück. Eben noch müde Körper werden beim Anblick der quadratischen Kartons schlagartig wieder zum Leben erweckt. Wir stehen an der Pier, um an Bord ja nichts mehr dreckig zu machen und blicken zufrieden und eifrig kauend auf unser Tageswerk herab. Wir erzählen uns gegenseitig von den vielen, vielen lustigen Situationen, die uns den Tag wohl (trotz allem) positiv in Erinnerung bleiben werden und letztlich bleibt uns nur noch, den warmen Abend zu genießen und ganz fest die Daumen für morgen zu drücken.
Kleiner Spoiler: Als die Leute von der Hygieneabnahme am nächsten Tag von Bord gehen, schallt lautes Klatschen über die Pier.
KUS-Ticker
Mittwoch, 05.11.25
- 10:00 – 19.00 Uhr: Vorbereitung der Hygieneabnahme
- 15:30 Uhr: Geburtstagskaffee für Nik
