Fogo – Leben mit einem Vulkan (Teil 1)

17/1 Wieder auf See

Nach den anstrengenden Wanderungen durch die atemberaubende Natur von Santo Antao sind wir alle wieder zu Hause, an Bord der Thor. Wir erledigen die letzten Handgriffe und sind schließlich seeklar. Das heißt, wir sind bereit auszulaufen. Ja ganz richtig, „auslaufen“. Wir verlassen Mindelo und nehmen Kurs auf Fogo, unser nächstes Ziel. Das Rescue-Boot wird an Deck geholt, die Netze und Strecktaue zum Festhalten werden gespannt und wir nehmen den Fahrwachenbetrieb der letzten Etappe wieder auf. Die meisten sind durch die raue See und die starken Schiffsbewegungen sehr schlapp und es kehrt ungewöhnlich früh am Abend Ruhe ein.

18/1 Fogo in Sicht

Auch heute verlassen viele ihre Koje nur zur Wache und beschränken sich auf das allernötigste an Bewegung, wie den Weg in die Messe zum Abendessen. Während wir an Brava vorbeisegeln und gegen Abend die Lichter auf Fogo sehen, witzelt der ein oder andere, wir seien zu einem Invaliden-Schiff voller Seekranker mutiert. Das ändert sich allerdings um 21.30 Uhr, als Signal K ertönt, und alle an Deck stehen, um vor Anker zu gehen. Nachdem alle Segel geborgen sind und die Anker klar zum Fallen sind, liegen wir um ca. 22 Uhr schließlich vor der steilen Küste Fogos.

19/1 Unruhige Nacht

Die erste Nacht vor Anker ist für die einen sehr erholsam, andere werden allerdings um ca. 2 Uhr in der Früh durch starken Seegang und laute Schläge geweckt. Für wenige Minuten kommen nämlich unerwartet große Wellen, sodass das Rescue-Boot durch die selbigen hochgehoben wird, über das Schanzkleid schrappt und gegen das Deckshaus schlägt. Die nächsten Kammern, die mit offenem Oberlicht geschlafen haben, können am Morgen noch Farbüberreste des Schanzkleids am Boden finden. Beim gemeinsamen Frühstücken genießen wir die Aussicht auf die steile Küste und einen gestrandeten Frachte. Die Tatsache, dass er scheinbar trotz eines Ankers, der immer noch zu sehen ist, auf die Küste getrieben wurde, verunsichert den ein oder anderen und wir gehen besonders aufmerksam Ankerwache. Nach dem Frühstück stellt uns Ruth das Programm für den Landaufenthalt vor und die Spannung steigt bei allen, als wir erfahren, dass wir nicht nur den aktiven Vulkan Pico de Fogo besteigen werden, sondern auch in der Caldera untergebracht sein werden. Bevor es aber losgeht, müssen wir erst das Schiff reinigen und unsere Rucksäcke packen. Anschließend läutet die durch Probleme mit unseren Abwasserrohren sehr turbulente Backschaft zum Mittagessen, welches durch einen super kreativen Vortrag von Linn über die Geschichte der Kap Verde abgerundet wird. Jetzt sind wir informiert und beginnen den Dinghi-Transfer in den Hafen. Dort begrüßt uns Mustafa, bei dem wir wohnen werden und welcher unsere Ausflüge und Wanderungen mit organisiert. Gemeinsam mit ihm fahren wir in die Caldera und beziehen unser neues zu Hause für die nächsten Tage. Die Casa Marisa liegt auf 1700 Metern und ist nach dem Vulkanausbruch 2014 neu aufgebaut worden. Mustafa nutzt den noch erhitzten Lavaboden zum Beheizen der Zimmer und des Wassers, sehr zu unserer Begeisterung. Ich war mir dieser Art von Energienutzung vorher nicht bewusst und nicht wenige von uns waren über den ungewohnt warmen Boden der Zimmer überrascht. Bis zum Abendessen packen wir aus, spielen Fußball mit einheimischen Kindern und machen Aufnahmen mit Drohnen. Beim Abendessen, welches Marisa, Mustafas Frau, für uns gekocht hat, besprechen wir mit der aus zwei Schülern bestehenden Tagesprojektleitung, den morgigen Tag. Für morgen ist nämlich die Vulkanbesteigung geplant.

20/1 Das Ende der Welt

Beim Aufstehen um 05.30 Uhr bin ich zunächst unfassbar müde und wäre am liebsten liegengeblieben, was bei dieser Uhrzeit vermutlich verständlich ist. Als ich jedoch den Sternenhimmel sehe, durchbrochen durch die Silhouette des Vulkans, ist das alles vergessen und ich bin sprachlos. Die Unendlichkeit des Universums erscheint mir präsent und die Welt erscheint mir klein und unwichtig. Ich beeile mich, um nicht zu spät zum Frühstück zu kommen, und wir wandern noch im Dunkeln um 7 Uhr los. Der Weg bis zum Fuß des Vulkans ist ein mehr oder wenig gut befestigter Weg und wir kommen schnell voran, sodass wir ihn nach einer Stunde erreichen. Der Anstieg selbst gestaltet sich weitaus anspruchsvoller, denn der Untergrund besteht jetzt aus Geröll. So manch einer hat Ähnlichkeiten mit einem Spiel festgestellt, dass aus immer schwerer werdenden Leveln besteht:

Level 1: gepflasterte Straße
Level 2: unbefestigter Weg
Level 3: Lava-Sand
Level 4: kleines Geröll
Level 5: große Steinbrocken
Level 6: alles zusammen
Level 7: Klettersteigabschnitte und Weg entlang eines Grats

Hat man alle Level gemeistert, so ist man nicht nur ein wenig erschöpft, sondern hat auch den höchsten Punkt der Kap Verde erreicht. Ich stehe auf der Wand des Vulkans und sehe Sao Vicente, Santo Antao, Brava, Santiago und Fogo. Es ist atemberaubend und ich genieße das Gefühl, so weit oben in den Lüften zu stehen. Währenddessen haben wir auch Blick auf die Krater der kleineren Vulkane, die 1995 beziehungsweise 2014 ausgebrochen sind. Die verschiedenen Lavaströme sind deutlich zu erkennen und spiegelt in Form von riesigen Lavafeldern die Naturgewalt wider. Doch was mich weit aus mehr beeindruckt hat, ist die Sicht auf den Rand der Caldera, die wir beim Aufsteigen hatten:

Ich sehe den Rand, der als Kante ins Nichts geht. Die Welt endet hier und schwebt über den Wolken, die ich unter mir erblicke. Ich habe das Gefühl, dass die Welt nur noch aus der Caldera besteht und wie ein Luftschloss im Himmelsgewölbe schwebt. Alles andere spielt für mich keine Rolle und ich bin einfach nur glücklich. Ich habe das Gefühl am Ende der Welt zu stehen.

Aber zurück ins hier und jetzt. Wir stehen am Rand des Kraters, essen unsere Lunch-Pakete und sind uns des Privilegs bewusst, hier sein zu dürfen. Bevor wir wieder aufbrechen, machen unsere Drohnen-Profis noch einige Aufnahmen und wir schauen uns ein letztes Mal um. Dann machen wir uns auf den Weg. Es geht gemeinsam bergab und alle sind extrem bedacht keine Steinschläge zu verursachen. Dank unseres Warnsystems, dass wir auf der Thor nutzen, können wir alle Steine stoppen und keiner verletzt sich. Immer wieder hört man „Warschau Stein“, das vor runterrollendem Geröll warnt. Nach anfänglicher Verwunderung versteht auch unser Guide, was dieser Ausruf zu bedeuten hat. Schließlich erreichen wir das Lavafeld, aus dem der restliche Abstieg besteht. Allen voran machen es uns die jungen Guides, also Mustafas Sohn und zwei weitere einheimische Jungen, vor. Sie rasen den Vulkan runter und beschleunigen, sodass sie in riesigen Sprüngen die letzten 800 Höhenmeter innerhalb weniger Minuten bewältigen. Für uns gestaltet sich das zwar weit aus anstrengender, aber dennoch sind wir einfach nur sprachlos. Wir ziehen uns improvisierten Schutz aus Halstüchern über Mund und Nase, um nicht den Lava-Staub einzuatmen. Ich springe auf und laufe los, bis zu den Knöcheln versinke ich in Asche und meine Schuhe sind gefüllt mit Steinen und Staub. Während ich immer schneller werde, versuche ich irgendwie die Kontrolle zu behalten. Das ein oder andere Mal falle ich nach hinten und liege im Feld. Ich atme durch und genieße für einige Augenblicke das Gefühl: Ich surfe das erste Mal in meinem Leben in Lava. Schließlich fühle ich mich bereit und stehe auf. Ich lege springend das letzte Stück zurück und ende am Krater des Pico Inferno. Dieser weitaus kleinere Vulkan ist 2014 ausgebrochen und für die Zerstörung der Dörfer in der Caldera verantwortlich. Wir finden auch zahlreiche Steinbrocken mit Schwefelresten, bevor wir uns an den Weg zurück zur Casa Marisa machen. Wir wandern durch die Vulkanlandschaft, die jetzt von verschiedenen Lavaströmen geprägt ist, zurück und legen noch ein Solo ein. Ein Solo ist eine bestimmte Zeit, die jeder schweigend für sich verbringt und so das Erlebte verarbeiten kann.  

Während ich auf einer Lava-Düne sitze und nachdenke, glüht die von der Sonne aufgeheizte Lava und ich sehe es über dem Boden flimmern. Ich werde mir bewusst, wo ich eigentlich gerade sitze: Auf einem aktiven Vulkan, dem zweithöchsten Berg im Atlantik. Ich schrecke auf und höre das Pfeifsignal, das das Ende verkündet. Von überall ertönt es jetzt wie ein Echo, sodass es jeder hört. Ich ziehe wieder meine Schuhe an und mache mich auf den Weg zu Mustafa und dem Rest der Gruppe, der sich dort bereits sammelt. Den restlichen Teil der Wanderung verbringe ich in meinen Gedanken, die mich nicht mehr loslassen.

Als wir schließlich die Unterkunft erreichen, ist die erste Handlung vieler, die Wanderschuhe aufzuschnüren, die Socken auszuziehen und wieder barfuß den Rest des Tages zu verbringen. Mit einem Bärenhunger verschlingen wir das leckere Abendessen und das Gesprächsthema ist die atemberaubende Wanderung des heutigen Tages. Nach dem Essen ertönt aus dem Hof Musik. Ich höre Gitarre, Trommel und Gesang und nähere mich angelockt leise dem Ursprung dieser. In dem Raum, wo wir essen, sitzen drei Kapverdianer und musizieren. Obwohl ich kein Wort des Gesungenen verstehe, bin ich gerührt und spüre die Gefühle die in der Musik stecken. Inzwischen sammelt sich eine kleine Gruppe begeisterter an der Tür sitzenden Kusis. Auch uns verfolgt Corona und wir müssen draußen bleiben, um nicht die Gefahr einer Infektion einzugehen. Schon bald nehmen die Musiker ihre Stühle und setzen sich zu uns nach draußen, sodass sich ein immer größer werdendes Publikum sammelt. Aber nicht nur das Publikum wächst stetig, sondern auch die Band. Immer wieder gesellt sich ein weiterer Musiker hinzu, sodass sie am Ende zu siebt spielen. Wie ich erfahre, besteht die ganze Gruppe aus 24 Musikern verschiedensten Alters. Nachdem wir anfänglich nur zugehört haben, schwingen wir selbst die Tanzbeine und lernen den kapverdianischen Tanzschritt von Mustafa. Alle werden zum Tanzen gebracht und manch einer probiert sich schließlich selbst an einem Instrument. Tarzan, einer der zwei Trommler, lässt einige von uns Schülern seinen Platz einnehmen und hilft uns im Rhythmus ein Lied mitzuspielen. Tarzan selbst ist nicht nur ein Musiker, dem man ansieht, dass er die Musik fühlt, sondern er ist auch ein begabter Künstler.

Aber das ist eine andere Geschichte, die in Teil zwei folgt …

KUS-Ticker

Sonntag, 17.01.2021

Mittagsposition: Mindelo

  • 14:00: Auslaufen unter Maschine aus Mindelo
  • 14:30: Aufnahme des Fahrwachenbetriebs

Montag, 18.01.2021

  • 07:00: viele Seekranke
  • 15:00: Vorbeisegeln an Brava
  • 21:30: Signal K – All Hands on Deck
  • 22:00: Ankern vor Fogo

Dienstag, 19.01.2021

Mittagsposition: Fogo

  • 02:00: Rescue-Boot wird durch Wellen an Deck gehoben
  • 09:00: Vorstellen des Aufenthalts auf Fogo
  • 10:00-12:00: Reinschiff und Packen
  • 12:45: Vortrag über die Geschichte der Kap Verden von Linn
  • 13:00-14:00: Dinghi-Transfer an Land
  • 14:30: Begrüßung von Mustafa
  • 15:00: Fahrt mit Aussichtstops zur Unterkunft Casa Marisa mit Sicht auf den Vulkan
  • 17:00: Einzug in Lava-beheizte Zimmer
  • 17:30: Fußball mit einheimischen Jugendlichen und machen Drohnen-Aufnahmen
  • 19:00: Abendessen und Vorbesprechung der Vulkanbesteigung

Mittwoch, 20.01.2021

Mittagsposition: Pico de Fogo

  • 05:30: Wecken mit außergewöhnlichem Sternenhimmel
  • 07:00: Aufbruch im Dunkeln
  • 11:00: Ziel erreicht: Krater
  • 12:00: Grat-Wanderung zum höchsten Punkt der Kap Verden
  • 12:30: Abstieg
  • 12:50: Lava-Feld erreicht
  • 13:30: 800 Höhenmeter gesurft
  • 14:00: Rückweg über Lava-Fluss
  • 14:30: Solo
  • 15:30: Ankunft in Unterkunft
  • 19:30: Yoga
  • 20:00-22:30: für Kap Verden typische Live Musik und Tanz