Fogo – Leben mit dem Vulkan (Teil 2)

21/1 Pico de Rushmore

Mir tun alle Glieder weh! Kommt es von der Wanderung, der Besteigung des Pico de Fogo? War es das Herabschlittern durch das Feld von Vulkanasche? Oder lag es an dem lebhaften Tanzen zu Live Musik gestern Abend? Schwer zu sagen. Zum Glück liegt der Schwerpunkt heute auf dem Künstlerischen.

Heute Vormittag besuchen wir Tarzan. Wir haben ihn bereits gestern Abend kennengelernt. Er hatte Trommel gespielt. Doch ist er nicht nur Musiker, sondern auch bildender Künstler. Als wir ankommen, wartet er bereits. Am Boden sitzend arbeitet er an einem Brocken Vulkangestein. Mit seinem freundlichen Gesichtsausdruck strahlt er eine angenehme Gelassenheit aus, die einen sofort einnimmt. Fasziniert beobachten wir seine Arbeit. Mit einem stumpfen Messer und Hammer bearbeitet er das Gestein. In der nächsten Stunde folgen wir dem künstlerischen Prozess. Ein unförmiger Brocken verwandelt sich in ein ausdrucksstarkes Gesicht. Aus der Oberfläche erhebt sich eine Stirn, Augenhöhlen bilden sich, zuletzt wird die Nase vom Gestein befreit. Jetzt wollen wir aber auch aktiv werden. Daher gibt es für jeden ein Stück Vulkangestein. Als Werkzeug dienen Buttermesser, kompakte Steine als Hammer. Wer sich bereits als zukünftige*n Künstler*in sieht, wird schnell desillusioniert. Das Vulkangestein ist fest, aber gleichzeitig bröcklig. Nur dieses bestimmte Gestein lässt sich bearbeiten. Trotzdem gibt es viel Frustration über abgebrochene Ecken und steinharte Flächen. Aber schließlich bewundern wir doch noch verschiedenartigste Kunstwerke: eine Schildkröte, ein Nilpferd, Wale und natürlich einige Gesichter. Unser Durchhaltevermögen hat sich gelohnt.

Nach dem Essen treffen sich alle für das Nachmittagsprogramm. Wer noch Power und Motivation hat, geht klettern. Mustafa hat an der steilen Calderawand Kletterrouten vorbereitet. An einigen kleineren Felsen kann man auch Bouldern. Eine andere Gruppe läuft zu einer Weinkellerei. Dort können sie die Verarbeitungsstätte des lokalen Weins erkunden. Die Weinpflanzen wachsen hier vereinzelt in kleinen Kuhlen, die vor dem Wind schützen. Aus der ganzen Caldera werden die Trauben zu dieser Kellerei gebracht. Hier werden sie dann zu exklusivem Wein verarbeitet. Die übrigen KUSis bleiben in der Unterkunft. Die freie Zeit wird zum Schlafen, Entspannen und Einkaufen genutzt.

Nach dem Abendessen bringt uns Hanno die Bedeutung der Musik auf den Kap Verden näher. Charakteristisch ist, dass eine Gruppe spontan zu musizieren beginnt. Wie auch gestern Abend gibt es keine Verabredung. Die Musik ergibt sich und jeder, der möchte, spielt mit. Kapverdische Musik ist vielfältig. Es gibt Klänge für schwere Gefühle und Rhythmen für feurige Tänze. Hanno schloss mit den Worten: Kaum jemand kann von Musik leben, doch ohne Musik will niemand leben.

22/1 Vom Ende der Welt in den Nebelwald

Am nächsten Morgen muss alles gepackt und ordentlich werden. Schließlich laufen wir alle zusammen mit zwei Guides los. Ein letztes Mal gehen wir durch die apokalyptischen Lavafelder der Cha. Unser Guide zeigt uns die neue Grundschule. Kinder sollen keine kilometerlangen Wege zur nächsten Schule mehr zurücklegen. Wir sehen ein Gasthaus, zur Hälfte von erstarrten Lavaströmen bedeckt ist. Der Betrieb läuft weiter, eine lokale Attraktion. Am Wegesrand kommen wir an Eukalyptus- und Pfefferbäumen vorbei. Mit den kleinen rosa Pfefferkörnern würzen die Einheimischen ihre Speisen. Für uns schmecken sie scharf und leicht fruchtig. Langsam wandelt sich die Umgebung. Hinter uns bleiben eindrucksvoll karge Lavafelder, wie Überreste der gewaltigen Caldera zurück. Die Straße säumen vermehrt Bäume und Büsche, von der Ebene hinab geht die Wanderung. Um uns formiert sich der Nebelwald. Wir schreiten beständig in den einzigen Wald Fogos. Allein Nebel finden wir hier nicht. In Regenzeiten mögen hier Bäche erwachsen, zu Flüssen anschwellen. Wolken sich in dem Netz aus Bäumen verfangen. Allein jetzt ist davon nichts zu sehen. Unsere Wege stauben unter der Morgenhitze. Doch wird die Straße schattiger, die Bäume spenden Kühlung. Eine gepflasterte Stelle wird zum Rastplatz. Die Straße schwindet hinter einer Biegung. Sie quert ein Becken aus weichem Waldboden, Farnen, Bäumen und Büschen.

Es soll ein Solo geben. Für jeden ein Ort, zwanzig Minuten für dich selbst. Finde einen Standpunkt und entspanne. Augenschließen, einatmen, ausatmen, ankommen. Du kannst die Natur fühlen, wie sie dich wieder aufnimmt, ein verlorenes Kind. Deine Gedanken schweifen, du gibst sie vor. Es könnte ewig so weitergehen. Der Laut eines Kuckucks, Pfeiftöne, ein durchdringender Pfiff. Von überall tönt das Signal. Der Tag kehrt zurück und das Leben. Alle die vertrauten Menschen kehren aus ihrer Gedankenwelt zurück. Das heutige Abenteuer liegt noch vor uns.

Wir laufen weiter durch den Wald bis zu einem einzelnen Haus mit Garten. Hier wachsen endemische Pflanzen. Unser Guide macht uns mit den verschiedenen Arten und ihren Verwendungen vertraut. Die einen werden als Viehfutter verwendet, andere gehören in Tee und manche finden in traditioneller Medizin Anwendung. Danach verlassen wir die Straße. Ein schmaler Wanderpfad führt nun den Hang hinab. Weniger Bäume halten nun die Sonne ab. Im gleißenden Licht marschieren wir auf dem staubigen Pfad. Zu unseren Seiten erstrecken sich grüne Flächen bunt gemischter Pflanzen. Bananenbäume, Kaffeesträucher, Nadelbäume, Zitrusbäume, Palmen, Papayabäume… Auf diesem schmalen Weg geht es geschäftig zu. Männer und Frauen transportieren Lasten. Ein Sack mit Reis, ein Bund Bretter oder Stroh. Auf Kopf, Schulter oder Schubkarre geladen geht es auf- und abwärts. Die einzige Autostraße verläuft um die gesamte Insel, ein Riesenumweg. Traditionelle Wege haben sich bewährt. Lange Strecken zu laufen ist ein Teil des Lebens. Wir sind das nicht gewöhnt. Das ist eine Wanderung, kein Schulweg für uns. Trotz Hüftgurt beschwert uns der Tagesrucksack. Wer kann schon einen Sack Reis auf dem Kopf eine Insel besteigen?

Wir werden vor Mustafas anderem Haus abgesetzt. Es liegt ungefähr auf halber Höhe. Von der weitläufigen Terrasse können wir das Meer sehen. Nach dem anstrengenden Laufen springen die meisten in den Pool. Es wird viel gelacht, herumgeblödelt, umhergespritzt und geplanscht. Im Anschluss an das Abendessen erzählt uns Mustafa umfassend vom Vulkanausbruch 2014. Wie kam es dazu, wie sahen vergangene Ausbrüche aus, welche Maßnahmen wurden ergriffen, welche Folgen hatte es? Der wertvollste Besitz in der Cha ist nicht dein Land. Es ist das, was du aus deinem Land machst. Die Ausbrüche haben nie Menschenleben gekostet. Die Cha ist die Heimat der Menschen. Es ist keine Option wegzubleiben, dafür werden auch Opfer in Kauf genommen. Diese Einstellung fasziniert mich. Den Bewohnern ist ihre Heimat, ihr vergleichsweise anstrengendes Leben, das Risiko wert. Als alle anderen bereits schlafen, bin ich noch wach. Fogo hat mir neue Perspektiven eröffnet, denke ich. Ich habe mich schon wieder verändert. Ich bin schon wieder eine andere Person als auf den Fotos von gestern.

Morgen werden wir uns von Mustafa und seiner Familie verabschieden. Ich wäre gern noch viel länger geblieben und hätte die familiäre Atmosphäre genossen. Doch wie John Green es formulierte; man verabschiedet sich nicht, wenn man nicht vorhat, sich wieder zu sehen.

KUS-Ticker

Donnerstag, 21.01.2021

Mittagsposition: Cha de Calderas, Fogo, Kap Verde

  • 09:00: Besuch eines einheimischen Künstlers
  • 14:00: Wanderung im 90° Winkel: Klettern an der Calderawand.
    Besuch einer lokalen Weinkellerei
  • 20:00: Vortrag von Hanno über Musik auf den Kapverden

Freitag, 22.01.2021

Mittagsposition: Nebelwald auf Fogo, Kap Verde

  • 08:00: Loswandern in der Caldera
  • 10:00: KUSis im Nebelwald. Solo im Grünen
  • 16:00: Informationen über lokalen Kaffee von Guides und Andreas
  • 17:00: Ankunft bei Mustafas Haus
  • 20:00: Diashow, Informationen zu Vulkanausbruch 2014 & Leben in der Cha

Samstag, 23.01.2021

Mittagsposition: Ankerplatz Nähe Sao Filipe, Fogo, Kap Verde

  • 09:00: Abfahrt zur Pier
  • 12:00: Dinghi Transfer abgeschlossen
  • 14:00: Aufklaren des Schiffs