Zwei Welten
Ich sitze zuhause. Hier hat sich nicht so viel verändert wie in mir. Ich sehe die alte, gewohnte Welt mit anderen Augen. Augen, die mehr gesehen haben, als dieses zuhause. Ich habe Angst, dass ich mit meinen neuen Erfahrungen in den alten Alltag hineingerissen werde. Angst, zu vergessen, was ich gelernt habe. Angst, zu vergessen, wer ich geworden bin.
Ich nehme meine Gitarre und spiele ein Lied, das wir auf der letzten Etappe geschrieben und beim Abschlussabend gespielt haben. Schon nach den ersten Zeilen kommen die Erinnerungen…
Ist es wirklich jetzt schon zu Ende?
Ich stehe auf der Rah.
Es ist ein seltsames Gefühl. Die ganze Reise über sind wir im Rigg herumgeklettert. Haben Segel ein- und wieder ausgepackt, kontrolliert und repariert. Unzählige Stunden sind wir hier oben gewesen. Bei Nacht, Sturm und Regen. Jetzt, wenn wir das letzte Mal aufentern, wird etwas fast Alltägliches zu etwas ganz Besonderem. Wir laufen ein, sehen unsere Familien. Am Schrottplatz und dem kleinen Yachthafen vorbei, es kommt die Schwentine in Sicht, der Liegeplatz der Thor Heyerdahl.
Ich stehe vor der Gangway. Ich drehe mich noch einmal um.
Das alles hier ist so vertraut.
Die Segel. Die Kojen. Die Kombüse. Das Schiff ist unser zuhause geworden. Doch noch wichtiger als das Schiff ist die Gemeinschaft. Viele Menschen sind zu einer Mannschaft zusammengewachsen. Wir haben gemeinsam gekocht, gelernt und gelebt.
Ich gehe zum letzten Mal über die Gangway. Das letzte Mal.
In den vorherigen Wochen gab es viele letzte Male. Das letzte Mal Backschaft, die letzte Nachtwache, der letzte gemeinsame Abend. Der Abschlussabend. Geschichten wurden erzählt, Lieder wurden gesungen. Doch es ist schwer zu beschreiben, was in uns vorging.
Das Auslaufen liegt auf dem Papier erst sechs Monate zurück. Doch es ist so viel passiert, dass es sich anfühlt wie Jahre. Die erste Backschaft, die erste Nachtwache, die ersten gemeinsamen Abende. Alles war so neu. Seitdem haben wir uns verändert. Die Reise hat uns verändert. Das Schiff hat uns verändert. Die Gemeinschaft. Das alles hat uns zu den Menschen gemacht, die nun von Bord gehen.
Ich weiß noch nicht genau, was ich fühle, wenn ich an zuhause denke.
Am Anfang der Reise fühlte es sich unwirklich an, dass es nun endlich losgehen sollte. Das Selbe fühlen wir auch jetzt, wenn die Reise zu Ende geht. Es ist, als würden zwei verschiedene Welten plötzlich aufeinandertreffen. Das vertraute Schiff und das alte Leben. So verschieden, doch wir lieben beide. Von der einen in die andere Welt zu treten, fühlt sich seltsam an. Es fühlt sich an, wie ein Abschied und ein Ankommen zugleich. Natürlich war uns das ganze halbe Jahr über klar, dass die Reise ein Ende haben würde. Und doch kam es so plötzlich.
Ist es wirklich jetzt schon zu Ende?
Uns ist bewusst, die Reise ist vorbei. Nicht aber unsere gemeinsame Zeit. Wir haben so viel erlebt. Viele unerwartete Seiten aneinander kennengelernt. Wir sind Freunde geworden. Die besondere Zeit, die Probleme, die Erlebnisse. All das macht unsere Freundschaft aus. Und das ist es auch, was uns für immer verbindet.
Ich weiß jetzt ganz genau
Was ich fühle, lässt sich nicht so gut beschreiben
Lass uns für immer Freunde bleiben
Wir hab’n soviel erlebt
Und ich weiß, dass
Unsere Geschichte für immer in mein’m Herzen steht
Für immer, immer, immer in mein’m Herzen steht.