Die Geschichte der Expi-Gruppe 3
Trampen bis wir campen oder Unglaublich genug, um wahr zu sein
Tag 1, 21.03.2023: Thor Heyerdahl – Castelo Branco
Das Abenteuer beginnt. Rucksäcke werden geschultert, letzte Sachen überprüft. Zelte? Check. Gaskocher? Check. Regenjacke? Check. Wir laufen los. Die nächsten Tage werden wir in der Natur verbringen, anstrengende Wanderungen und Verzicht warten auf uns. Wohin wird diese abenteuerliche Reise uns bringen?
Ich schaue auf die Uhr. Halb zwei. „Wann geht unser Bus?“, frage ich in die Runde. „Um fünf“, kommt die Antwort. Wundervoll. Nach zehn Minuten Laufzeit halten wir im Peter Café Sport, um Schokokuchen zu essen. Etwas widersprüchlich, denke ich bei mir und schmunzle, als ich genüsslich eine Gabel zum Mund führe. Von wegen Verzichte … Aber unser Bus fährt erst in drei Stunden und … nun, es ist schon die perfekte Einstimmung. Doch selbst drei Stunden lassen sich nicht vertreiben. Wir wollen los, sind alle ungeduldig. Dass wir uns entschieden haben, die Busstrecke zu Fuß entlang zu laufen, hat 30 Minuten später niemand bereut. Unser Blick schweift über den steinigen Pfad an der Küste entlang, die Wellen, die vom Wind über das Meer gejagt werden, die Stufen, die zum Wasser führen, die Dusche … Moment. Eine Süßwasserdusche? Gustav dreht den Hahn auf und probiert. Ja, es ist tatsächlich Süßwasser! Ein kurzer Blick auf die Uhr: Wir haben noch eine Stunde. Ein kurzer Blick zurück: Die Bushaltestelle in zehn Metern. Innerhalb von fünf Minuten sind alle umgezogen und laufen aufgeregt in Richtung Meer. Das Wasser ist eiskalt, aber gleichzeitig ist es das beste Gefühl der Welt. Mein Atem stockt kurz und mein Körper bebt, als ich kurzerhand vom Felsen springe. Ich habe mich noch nie so lebendig gefühlt. Aus dem Wasser draußen fühlt sich alles plötzlich richtig warm an. Und das ist auch gut so, denn die nächste halbe Stunde stehen wir an der Bushaltestelle – im Regen. Ah, da kommt der Bus! Wir winken ihm zu. Der Busfahrer winkt zurück – und fährt weiter. Nicht schlimm, zehn Minuten später kommt der nächste Bus – gleiches Spiel. Beim dritten Bus genau das gleiche.
Etwas ratlos stehen wir an der Bushaltestelle. „Und was machen wir jetzt?“ „Trampen?“ Warum nicht? Nach Praia do Norte, unserem eigentlichen Tagesziel, schaffen wir es heute nicht mehr. Wir schlagen unser Camp auf einer Kuhweide auf. Aber trotzdem sind wir uns alle einig – niemand hätte lieber den Bus genommen.
Tag 2, 22.03.2023: Castelo Branco – Praia do Norte
Verschlafen und mit steifen Gliedern krieche ich morgens aus dem Zelt. Auf den Grashalmen schimmert der Morgentau im ersten Tageslicht. Gemeinsam mit Lennart bereite ich das Frühstück vor – Porridge und Kakao – während die anderen die Zelte abbauen. Tatsächlich hat niemand von uns so richtig Ahnung, wo es heute hingehen soll. Während der Besprechung beschließen wir, dass Praia do Norte das einzige feste Ziel ist, das wir haben und wir den Rest spontan entscheiden. Jetzt heißt es erstmal lostrampen. Als uns nach 30 Minuten Laufzeit noch immer niemand mitgenommen hat, kommt eine Idee auf. „Wenn wir uns in Dreiergruppen aufteilen, halten die Leute eher an“, überlegt Johannes. Gesagt, getan. Und es funktioniert! Innerhalb von einer halben Stunde treffen wir einen sehr netten Ranger, der uns bis nach Capelinho mitnimmt.
Wahnsinn, ist das einzige, das mir einfällt, als ich meinen Blick hebe und die gigantischen, fast schon roten Klippen erspähe, die vor uns aufragen. Schwarzer Sand breitet sich bis zum Meer vor uns aus und über uns erhebt sich ein Leuchtturm. Weit entfernt höre ich die Wellen am Strand unter uns brechen. Ohne Absprache wissen wir, dass das der Platz ist, an dem wir Mittag essen wollen.
Nach der Essenspause sind wir alle gestärkt, um weiterzulaufen. Nach alter Manier gehen wir getrennt weiter und merken, dass es an freundlichen Pick-Up-Fahrern wirklich nicht mangelt. Als wir endlich an unserem Ziel, Praia do Norte ankommen, bekommen wir nicht ein, nein sogar zwei Angebote für Schlafplätze. Ich hatte schon Angst, die Nacht im Regen verbringen zu müssen, aber es ist lustig, wie das Schicksal manchmal so spielt. Anstatt auf einer nassen Wiese übernachten wir in einer regengeschützten Garage. Wir haben sogar Holzpalletten, die wir zu einem Tisch zusammenschieben. Abends lasse ich mich glücklich auf die Isomatte sinken. „Auf dieser Expi bringt wirklich jeder Tag etwas Neues“, denke ich, als ich langsam in den Schlaf sinke.
Tag 3, 23.03.2023: Praia do Norte – See im Osten der Caldeira
Kalt. Eiskalt. Das ist der erste Gedanke, der mir in den Kopf schießt, als ich morgens geweckt werde. Meine Motivation, die für heute geplanten 800 Höhenmeter hochzuwandern, hält sich in Grenzen. Aber der warme Grießbrei zum Frühstück stimmt mich etwas fröhlicher. Nachdem wir alles aufgeräumt und uns bei unserem Gastgeber bedankt haben, geht es los zu unserem noch weit entfernten Tagesziel: der Caldeira. Bis dahin liegen noch sieben Kilometer mit schweren Rucksäcken, schmerzenden Füßen und Blasen vor uns. Stück für Stück laufen wir die steilen Serpentinen nach oben.
Mein Atem geht mit jedem Schritt ein Stückchen schwerer und teilweise muss ich mich wirklich den Weg hoch kämpfen. Als ich meinen Blick von meinen feuchten Wanderschuhen hebe, sehe ich, wie hoch der Berg vor uns noch aufragt. Der Rucksack drückt schwer auf meine Schultern und langsam wünsche ich mir wirklich eine Pause. Dann schlage ich den Menschen, die neben mir laufen, vor, dass wir Stadt-Land-Fluss spielen und als ich das nächste Mal auf den Berg blicke, ist er plötzlich viel nähergekommen. Die letzten Schritte auf den Kraterrand sind mein Highlight des Tages. Von einem Moment auf den anderen breitet sich die Caldeira gefühlte 100 Meter unter mir aus. Ein erhabener Anblick – der See in der Mitte, die grünen Bäume, die den Krater wie eine Kuchenglasur überziehen, der Wasserfall, der dort drüben hinabfällt … Gleichzeitig zieht der eiskalte Wind mir in die Knochen und ich beginne zu zittern und zu bibbern. „Lasst uns bitte schnell weitergehen“, sage ich den anderen mit klappernden Zähnen – den Anblick kann man auch im Laufen bewundern.
Den Weg auf der anderen Seite hinunter stapfen wir mit ausgelassener Stimmung entlang. Wir singen Lieder und lachen gemeinsam, sodass es sich wie kaum eine halbe Stunde anfühlt, bis wir unser Lager neben einem See aufschlagen. Jeder ist guter Laune: Während die einen eine sehr kreative Konstruktion zum Befestigen einer Hängematte entwerfen, Yoga machen oder Zelte aufbauen, kochen die anderen das Abendessen. Und heute geht wirklich niemand hungrig oder unglücklich ins Bett, wir sind zwar alle wahnsinnig müde, aber auch stolz auf die 20 Kilometer, die wir heute gewandert sind.
Tag 4, 24.03.2023: See im Osten der Caldera – Horta
Heute soll es wieder nach Hause gehen. Aber wir alle sind uns einig, dass wir unsere Reise mit einem Paukenschlag beenden wollen. Wir ziehen weiter, in Richtung Praia do Almoxerife. Dort wollen wir essen und baden gehen. Den Bauch voll mit unserem Mittagessen, Porridge, laufen wir aufgeregt in Richtung des riesigen Strandes. Kaum sind wir angekommen, schmeißen alle ihre Rucksäcke auf den Boden und ziehen sich bereits im Laufen um. Ja, der Wind bringt uns alle zum Zittern – aber das Adrenalin vereint sich mit der Kälte und erfüllt mich komplett. Eine riesige Welle nach der anderen bricht über dem schwarzen Vulkansand und reißt mich mit sich. Aus dem Wasser draußen muss ich schnell duschen und mich umziehen, um nicht komplett auszukühlen. Fröhlich laufen wir die letzten Kilometer nach Horta, wo wir als Erste an der Thor ankommen.
Vier Tage waren wir unterwegs und haben so viele unglaubliche und schöne Sachen erlebt. Kein Tag hat dem anderen geglichen und obwohl unsere Gruppe aus den unterschiedlichsten Menschen zusammengewürfelt wurde, sind wir richtig eng zusammengewachsen – wir haben ja auch die verrücktesten Erlebnisse geteilt. Und jetzt? Jetzt bin ich froh, wieder zuhause zu sein.