Erinnerungen
Erinnerungen, die gibt es auf unserer Thor viele und egal wohin ich laufe kann ich sie finden. Jetzt, wo wir dem April, unserem letzten Monat, gegenüberstehen, schauen wir uns viel bewusster in unserem Zuhause um, damit keine Farben vom Meer, kein kleiner Moment und keine Erinnerung uns durch die Finger gleitet.
Auf der ersten Etappe, um halb drei nachts, hinter dem Backbord-Niedergang vom Achterdeck, schafften es meine Wache und ich einfach nicht, die gelben Leinen richtig aufzuschießen. Es hat eine Ewigkeit gedauert, ich kann mich noch erinnern, wie genervt und müde wir damals waren, doch jetzt müssen wir jedes Mal so lachen, wenn wir daran denken. Oder dort, neben dem Ruderkasten, saßen wir Woche für Woche eingekuschelt nebeneinander, die Köpfe auf Schultern oder Schößen von anderen und haben Christian gelauscht, der uns Seemannsgeschichten vorlas, bis uns allen die Augen zufielen. In so vielen Nachtwachen waren wir um den Rudergänger versammelt und mussten uns vor Lachen den Mund zu halten, damit wir keinen aufwecken. Ich könnte nicht sagen, worüber wir jedes Mal gelacht haben, wir waren einfach unbeschwert. Vorne auf dem Achterdeck stand ich, als ich das erste Mal ein Manöver anleitete und es nicht funktionierte. Doch genau am selben Ort stand ich auch, als es ein wenig später ohne Probleme gelaufen ist.
Die Messe war immer voller Menschen, die einen spielten Spiele, während der ein oder andere Gitarre oder Klavier übte, bis sich immer mehr dazu gesellten und das Ganze sich in einen Singabend entwickelte. Auf dem Deckshaus erzählten wir uns stundenlang Geschichten von zu Hause und im Rigg war ich das erste Mal still. Denn plötzlich zählten nur die Wellen, die uns wiegen oder der Wind, der uns voranbläst. Da oben musste man nichts sagen, denn allen ist bewusst, das ist Freiheit. Pure Freiheit.
Jeder Fleck auf unser Thor ist mit Erinnerungen verbunden. Egal ob wir dort Freundschaften beim gemeinsamen Übergeben, Putzen oder Erleben geschlossen haben oder ob wir etwas Neues lernten.
Es ist falsch diese ganzen Sachen vergangen klingen zu lassen, denn jeder Sonnenauf- und untergang, jeder Lacher, jeder Streich, jene Erinnerungen sind immer noch fester Bestanteil unserer Realität, auch wenn sich in diese langsam Alltag und Normalität schleichen wollen, die uns dazu verführen möchten, nicht jeden Sonnenaufgang oder Sternenhimmel so zu schätzen wie beim allerersten Mal.
Denn damals lag ich in meiner allersten Nachtwache im Oktober auf den Backskisten und bewunderte einen Sternenhimmel, den ich so noch nie gesehen habe – mir ist das ganze so unwirklich und unendlich vorgekommen! Der Sternenhimmel und unsere Zeit auf der Thor. Jetzt, an den letzten Tagen im April, schaue ich genauso hoch. Der Sternenhimmel ist immer noch unendlich, die Zeit auf der Thor plötzlich nicht mehr. Manchmal ärgere ich mich, dass ich nicht die Zeit hatte, jeden Tag Tagebuch zu schreiben oder wünsche mir, ich konnte diese besonderen Momente mit der Kamera aufnehmen, um sie immer und immer wieder zu erleben zu können, doch was wäre dann das Besondere daran? Denn auch wenn ich mich nicht an jeden Moment erinnern werde, weiß ich doch, dass ich hier war, dass ich mit ganzem Herzen gelebt habe und dass diese Leute und diese Zeit mich nie und nimmer verlassen werden, denn das hier ist und bleibt unsere kleine Unendlichkeit.
KUS-Ticker
Donnerstag, 30.03.2023
Mittagsposition: 39°14,5‘N; 026°04,0’W
Wetter: bedeckt; Temperatur: Luft 15°C, Wasser 16°C; Wind: WSW 3-4
Etmal: 138,2 sm
- 19:30 Uhr Vorleseabend auf dem Achterdeck
Freitag, 31.03.2023
Mittagsposition: 40°26,8‘N; 023°57,7’W
Wetter: bedeckt; Temperatur: Luft 17°C, Wasser 15,5°C; Wind: SSW 3
Etmal: 123 sm
- 19:30 Uhr Spieleabend