Ein Praktikum bei unserem Bootsmann

„Ich streich das jetzt einfach drauf, oder?“ „Ja, genau, einfach drauf“ „Jetzt, jetzt ist der richtige Moment, jetzt ganz schnell…!“ „Mist, jetzt steckt mein Pinsel fest… ah, doch nicht.“ Dieses oder so ein ähnliches Gespräch ereignete sich letzten Freitag, gegen 15 Uhr, in etwa 20 Meter Höhe. Wie es dazu kam, was dies bedeutete, und was sich an diesem Tag und am heutigen Sonntag noch so passierte, möchte ich jetzt erzählen. Es handelt sich dabei nämlich um etwas ganz Besonderes: Mein Praktikum beim Bootsmann.

Es ist schon ein paar Tage her, dass unsere neue Projektleiterin Marlene bei einer Versammlung erwähnt hat, dass wir ein zweites Mal die Chance haben werden, ein Praktikum in der Maschine, im Proviant oder beim Bootsmann zu machen. Die Freude war groß, denn als wir gegen Beginn der ersten Atlantiküberquerung je zwei Praktikumswünsche abgaben, war uns noch nicht klar, dass es sich dabei um Erst- und Zweitwunsch für gleich zwei Praktika handelte. Allerdings konnten nun die Projektleitungsassistenz plus Marlene nicht mehr versprechen, dass alle ihre Wünsche erfüllt bekommen. Es bildete sich eine aufgeregte Traube, als die Liste endlich aushing. Toni – Proviant, Felix – Maschine, Annika, Marlene – Bootsmann! Das war toll, denn Bootsmann war mein Erstwunsch.

Mein Praktikum sollte direkt in der ersten Woche der neuen Etappe starten. Während ein Teil der KUSis also nach oben zur Fahrwache stapfen mussten oder Unterricht unter Deck hatten, lief ich voller Vorfreude am Freitag in die Last, wo bereits Guilhelm, Marlene (mit der ich zusammen Praktikum hatte) und überraschenderweise auch August auf mich warteten. August hatte – das stellte sich dann heraus – seinen ursprünglichen Praktikumsplatz eintauschen dürfen und konnte so jetzt auch vom Bootsmann lernen. Ich fand es gar nicht schade, mit so vielen anderen zusammen Praktikum zu haben, sondern habe es auch als Chance gesehen, noch einmal näher mit den KUSis etwas zu unternehmen, mit denen ich sonst noch nicht so viel zu tun hatte.

Dann ging es los: die erste Aufgabe von uns „besten Bootsmannpraktikanten der Welt“ bestand darin, neue Zeiser herzustellen. Ein Zeiser, ein dünnes Stück Tampen mit einer Art Nadelöhr am Ende, wird hauptsächlich dazu verwendet, Segel zu packen. Wie ich an diesem Morgen feststellte, machen wir diese selbst, beispielsweise aus Stücken von alten, nicht mehr benutzten Schoten. Jeder von uns bekam von Guilhelm ein solches Stück, er schlug ein Buch mit Knoten auf und erklärte uns genau, wie wir die drei Stränge des Tampens aufdröseln und ineinander verflechten müssen, um ein solches Nadelöhr, genannt Auge, herzustellen. Das war gar nicht so einfach, aber am Ende hatten wir fünf perfekte neue Zeiser, die wir direkt neben dem Deckshaus aufhängen konnten, bereit zur Benutzung.

Daraufhin gab Guilhelm eine Einweisung in die Funktionsweise unseres Außenborders vom Rescueboot. Dazu setzten wir uns ins Boot auf der Ladeluke hinein, was sicherlich einen lustigen Anblick bot. Weiter ging es zu unserem Ankerspill, wir stellten viele Fragen, die Guilhelm uns alle geduldig beantwortet hat, beispielsweise erklärte er uns, mit welchen Zeichen und Signalen das Achterdeck und er kommunizieren, wenn wir Anker schmeißen oder hieven wollen.

Am Nachmittag beschäftigten sich Guilhelm und August mit einer defekten Schot-Tür, währenddessen bekamen Marlene und ich eine besondere Aufgabe zugeteilt: Das Fetten der Klau des gesetzten Großsegels. Die Klau, das ist der oberste Punkt, mit dem das Segel am Mast befestigt ist. Auf deren Innenseite ist ein Stück Leder befestigt, welches regelmäßig (alle zwei Wochen) gefettet werden muss. Und genau diese Aufgabe haben Marlene und ich übernommen, sie kletterte mitsamt Kanister mit Fett und Pinsel auf Luv nach oben, ich mit einem zweiten Pinsel auf Lee. Oben angekommen starteten wir, mit den langen Pinseln Fett auf das Leder zu schmieren, dabei ereignete sich auch der oben beschriebene Dialog. Denn die Schwierigkeit ist: aufgrund der Schiffsbewegungen nach links und rechts bewegt sich auch die Klau und liegt abwechselnd mit der Backbord- oder Steuerbordseite fest am Mast an, wodurch sich für uns zwei jeweils nur ein Zeitfester von etwa 10 – 15 Sekunden öffnet, um das Fett großflächig auf das Leder zu pinseln. Nach ca. 15min waren wir fertig und kletterten ein wenig erschöpft, aber auch sehr zufrieden mit unserer Arbeit wieder nach unten.

Weiter ging es mit dem Praktikum zwei Tage später, am Sonntag. Wieder trafen wir uns um 7 Uhr in der Last, gespannt, was wir heute wohl machen würden. Wir bekamen die Wahl zwischen zwei handwerklichen Projekten, aufgrund des schlechter gewordenen Wetters konnten wir nicht an Deck arbeiten. Unsere Entscheidung fiel auf die Herstellung von neuen Leisten für die Schubladen im Büro, welche verhindern, dass diese bei starkem Seegang auffliegen könnten. Die alten waren, vermutlich dank der Überbelastung aus unserer ersten Etappe, teilweise gebrochen und sollten daher dringend erneuert worden. Marlene und ich machten uns also direkt daran, die alten Leisten auszumessen und aus Aluminiumblech die Verstärkung auszuschneiden. Dies war weniger einfach als es scheint, und drei unserer vier Verstärkungen bekamen eine leichte Bogenform, was Guilhelm später sehr fasziniert feststellte. Wir erklärten, es handle sich dabei um Kunst. Nachdem unser Bootsmann für uns auch die passenden Gegenstücke aus Holz ausgesägt hatte, feilten wir alles zurecht und bohrten noch die Löcher an den Enden hinein. Abschließend mussten die zwei Teile – Holz und Verstärkung – mit einem speziellen Kraftkleber aufeinander geklebt werden. Diese Aufgabe habe ich übernommen, nachdem August klar an den Handschuhen, die es ausschließlich in Größe 7 gab, gescheitert ist. So pinselte ich auf die Leisten eine dünne Schicht Kleber, den ließen wir erst trocknen, dann drückten wir die Teile aufeinander und… sie passten perfekt übereinander! Vergnügt liefen wir ins Büro und tauschten die alten direkt gegen unsere aus.

Leider war unser Praktikum damit schon zu Ende, denn am Sonntag gab es wieder einmal sehr viel Programm. Aber allein in diesen zwei Tagen habe ich unglaublich viel Neues gelernt, ausprobiert und einzigartige Erfahrungen gesammelt. Deshalb Empfehlung an alle: Macht ein Praktikum beim Bootsmann!

KUS-Ticker

Sonntag, 18.02.2024

Mittagsposition: 32°20,3‘N; 076°42,9’W
Etmal: 165 sm
Wetter: Lufttemperatur: 16,5°C, Wassertemperatur: 22,5°C, Wind: NE 5-6

  • 16:45 Uhr: Referat „Ökosystemdienstleistungen“ Sophie