Das Licht der Dunkelheit
Datum: 02.11.2024
Mittagsposition: 33°20,8‘ N; 011°24,3‘ W
Etmal: 108 sm
Lufttemperatur: 22° C, Wassertemperatur: 23° C, Windrichtung und Stärke: Stille
Ich möchte dich auf eine Reise mitnehmen. Eine Reise, die ich selbst zum ersten Mal erlebe. Die Reise meiner Jugend. Mach die Augen zu. Jetzt siehst du nichts, es ist dunkel wie eine mondlose Nacht. Dieser Ausblick konfrontiert mich jede Nacht, es ist die Dunkelheit des Meeres. Manchmal scheint der Mond, die Sterne und bringen Licht in diesen dunklen Teil der Welt, den nicht mal die Lichtverschmutzung der Großstädte erreicht. Dieser Teil der Erde, wo unsere Positionslichter mit dem Meer verschmelzen und du eine Taschenlampe brauchst, einen Gegenstand zwei Meter vor Dir zu sehen. Diese dunkle Welt scheint einsam zu sein. Du möchtest raus, die Augen öffnen. Du fühlst dich klaustrophobisch, obwohl du ein ganzes Schiff hast, auf dem du dich bewegen kannst, obwohl du im Rigg klettern könntest, und ein Moment der Ruhe haben. Du vermisst das Licht der Sonne, die dir tagsüber Licht und Wärme spendet. Es kann sein, dass du aus dieser Dunkelheit wegmöchtest, weg von den Unsicherheiten; du siehst nicht, was vor dir liegt, welche Herausforderungen vor dir stehen und du weißt nicht, ob du deine Ziele erreichen wirst. Manches ist noch unsicher, manches ist noch unklar.
Aber dann, in der dunkelsten aller Nächte, eine Nacht so dunkel, dass sich nicht mal die Geister des Meeres raustrauen, siehst du ein Licht: Hoffnung. Als erstes siehst du die Sterne, die sich bisher hinter den Wolken versteckten, wie Silber glänzen sie und bilden schöne Muster im Nachthimmel, die dir Orientierung bieten, und sicherstellen, dass du weißt, wohin du gehst. So macht es die Menschheit seit dem Ursprung der Navigation. Du schaust genauer zu und erkennst eines dieser Muster. Ein Sternbild: Der Große Wagen steht vor dir am Himmel und du wirst von einem Gefühl von Heimaterfüllt. Zuhause zeigt er sich auch in der Dunkelheit. Du beruhigst dich. Du schaust auf das Meer hinaus und merkst, wie still es ist. Seit mehreren Tagen ist auch der Nordatlantik ruhig. Die Sterne und ihre Muster, auf die du dich vorher fokussiert hast, siehst du plötzlich doppelt, denn der Atlantik reflektiert alles, was auf ihn zukommt, und alles verschmilzt auf ihm zu einer silbernen Oberfläche. Alle die Gefühle, die du fühlen könntest, werden auch gespiegelt und du siehst alles aus einer neuen Perspektive. Während du verzaubert auf die Wasseroberfläche schaust, kommen deine Mitmenschen zu dir und erzählen dir, das Meer leuchte. Sie meinen nicht die silberne Sternenschicht, die auf der ausnahmsweisen ruhigen See tanzt, sondern ein anderes Phänomen. So schnell wie möglich machst du dich auf dem Weg zum Bug des Schiffes, um das Leuchten des Meeres zu sehen, denn es gibt dir Hoffnung in der Dunkelheit. Dieses Mal leuchten die Lichter nicht weiß oder silber, auch nicht in den goldenen Farben des Sonnenuntergangs. Diese Lichter leuchten grün. Du denkst dir, dass jemand mit seiner Taschenlampe auf das Meer leuchtet und auf die Wellen, die beim Stampfen vom Schiff entstehen. Dies ist aber nicht der Fall. Du schaust genauer hin. Jedes Mal, wenn die Thor stampft, und dabei den silberglänzenden Spiegel zerstört, leuchten die dabei entstehende Wellen wie ein fragmentierter Spiegel. Es sind aber nicht die Sterne, die dafür sorgen, auch nicht der Mond. Es ist etwas anderes: kleine grüne Flecke, die nicht sehr hell leuchten, aber hell genug, um die Zerstörung auszugleichen. Du schaust sie erstaunt zu. Bei jeder Bewegung des Schiffes reagiert das Meer: Jedes Tier, jedes Schiff, sogar jedes Stück Müll, das im Meer gelandet ist, wird beleuchtet. Es ist ein wunderbares Lichtspektakel, das dir Hoffnung gibt für den Rest der Reise. Zuhause fühlt sich nicht mehr so weit weg an. Das Schiff, auf dem du dich befindest, die Thor Heyerdahl, fühlt sich auch immer mehr wie ein Zuhause an. Es fühlt sich nichtmehr eng an Bord, du willst nicht mehr Platz, die 50 Meter lange Thor Heyerdahl scheint nun ewig lang zu sein. Du findest deine Ruhe und findest die Möglichkeiten, deine Probleme zu lösen. Alle deine Unsicherheiten schmelzen wie das Licht der Sterne auf der silbernen Wasseroberfläche, alle deine Sorgen werden fragmentiert wie der silberne Spiegel, wenn die Thor im Wasser stampft. Du hast ein Zuhause und niemand nimmt es dir weg, nicht einmal die Dunkelheit der mondlosen Nacht, denn selbst sie ist nicht so dunkel, wie du zunächst dachtest. Du fühlst dich wohl an Bord, denn es ist dein neues Zuhause.
Du öffnest deine Augen wieder. Ich weiß nicht, wo du bist, ich weiß nicht, wer du bist. Vielleicht ist es Tag, dort wo du bist, vielleicht erlebst du die dunkelste aller Nächte. Vielleicht bist du zuhause, oder im Zug und fährst irgendwo hin. Vielleicht warst du schon, wo ich gerade bin. Vielleicht wirst du es irgendwann auch tun.
KUS-Ticker
Freitag, 01.11.2024
- 15:30-17:00 Uhr: Projekte
Samstag, 02.11.2024
- 15:30 Uhr: Schiffsversammlung
- 16:00 Uhr: Besanschot an
- 16:30 Uhr: Schülerversammlung