Die karibische Welt

Datum: Dienstag, 10. Dezember 2024
Mittagsposition: 13°N; 061°14,8‘W
Etmal: 0 nm
Lufttemperatur: 29° C, Wassertemperatur: 29° C, Windrichtung und Stärke: NE 1-2

Lichter! Hunderte von ihnen! Eine ganze Kette erstreckt sich über den Horizont!

Das waren meine ersten Gedanken, als ich um 04:55 Uhr zur Wache an Deck kam. Etwas eigentlich so Normales und Vertrautes wirkte auf einmal fremd und fehl am Platz. Nach fast vier Wochen war das erste Mal etwas anderes als das endlose Meer zu sehen und das löste etwas Belebendes in mir aus. Wir hatten es geschafft, den Atlantik zu überqueren! Mehr als 3000 Seemeilen lagen hinter uns und nun war die kleine Insel Bequia direkt vor uns zu sehen. So langsam hob sich die Sonne über den Horizont und in ihrem Licht ließen sich die ersten Konturen der Insel ausmachen. Vereinzelte Häuser lagen an den bewaldeten Hängen, wie weiße Punkte im dichten Grün. Doch die Stimmung an Bord war, zumindest bei den Schülern, immer noch angespannt, denn wir befanden uns mitten in der Schiffsübergabe und der schwierigste Teil lag weiterhin vor uns: Das Ansteuern der Bucht von Bequia und schließlich das Fallen des Ankers.

Um 06:45 Uhr gab es schließlich ein Signal K. Das bedeutet: Alle haben an Deck zu kommen, um beispielsweise ein Manöver zu fahren. In diesem Fall war es das Bergen und das Mittschiffsholen der Segel. Das bedeutet, ein Segel in die Mitte des Schiffes zu bringen. Da ich während der Schiffsübergabe Wachführer der Wache drei war, musste ich das Bergen des Großsegels (eines der drei Hauptsegel) koordinieren und anleiten. Die übrigen Wachen taten dies mit den ihnen zugewiesen Segeln. Überall wurden Kommandos gerufen und das gesamte Schiff wirkte wie ein Ameisenhaufen. Dann, als gerade alle Segel geborgen und mittschiffs gestellt waren, bogen wir in die Bucht ein. Zwei kurze Schläge der Schiffsglocke ertönten, um zu signalisieren, dass der Anker gefallen war, und mit diesen beiden Tönen waren wir nun wirklich in der Karibik angekommen – und das ohne die wirkliche Hilfe des Stamms, denn vom Kurs bis hin zum Ankermanöver wurde alles vom Schülerkapitän Laurenz und den beiden Steuermenschen Madeleine und Jakob F. geplant. Etwas stressige Tage lagen hinter uns allen, denn die Verantwortung über das gesamte Schiff zu tragen, ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Doch nun war es geschafft.

Das Wasser um uns herum war klar, sodass man bis zum Grund sehen konnte, vor uns erstreckte sich ein weißer Sandstrand, vor dem vereinzelt Segler lagen, und ein dichter Wald zog sich die Hänge der Insel hinauf. Ich hatte das Gefühl, in einer anderen Welt gelandet zu sein, so fremd wirkte die Szenerie auf mich. Fremd, aber wunderschön.

Natürlich wollten alle gerne sofort in das seicht blaue Wasser springen, doch erst mussten alle Segel gepackt werden und das Schiff klar sein, damit es vom Schülerkapitän Laurenz wieder zurück an unseren Stammkapitän Detlef übergeben werden konnte. Also ging es erstmal hinauf ins Rigg zum Segelpacken. Die warme Karibiksonne schien mir auf den Rücken und so geriet ich leicht ins Schwitzen. Falte für Falte wurde das Segel zusammengepackt und dann schlussendlich mit Zeisern (kurzen Seilen) fixiert. Schließlich wurde noch auf allen Stationen Reinschiff gemacht und dann war es endlich soweit: Alle räumten noch schnell die letzten Putzeimer weg und schnappten sich ihre Badeklamotten. Wir stellten uns am Schanzkleid auf und sprangen in Fünfergruppen ins Wasser. Sobald ich mich im Meer unter mir spiegelte, breitete sich ein Kribbeln in meinem Magen aus. So lange hatte ich auf diesen Moment gewartet, endlich in das kühle Nass zu springen. Die ganze Zeit war man von ihm umgeben und doch konnte man nicht hinein. Mit einem lauten Platschen sprang ich ins Wasser. Die Kühle, die mich umgab, war, nach dem anstrengenden Segelpacken, eine echte Erleichterung. Bis zum Strand waren es ungefähr 420 Meter, die wir schwimmend zurücklegen durften. Manche wurden auch mit einem der Dinghis zum Strand gefahren. Zug für Zug schwamm ich in Richtung Land, mal auf dem Rücken mit dem Gesicht zur wärmenden Sonne und manchmal auch unter Wasser. Seetang bedeckte Teile des Grunds und ab und zu schwamm ein kleiner Fisch vorbei. Der Strand kam mit der Zeit immer näher und nach einer Viertelstunde schwimmen berührten meine Füße das erste Mal seit vier Wochen wieder festes Land. Alle umarmten sich, es wurde gejubelt, gejauchzt, sich gegenseitig über den Strand gejagt und im Wasser fanden Spritzschlachten statt. Später wurden wir alle wieder mit den Dinghis zurück zur Thor gefahren. Die Sonne ging bereits unter und der Himmel färbte sich in einem tiefen Orange. Ein unvergesslicher Tag lag hinter uns. Wir hatten nach vier Wochen wieder Land gesehen, hatten es geschafft, selbst nach Bequia zu navigieren und waren in das blaue Karibikwasser gesprungen. So viele besondere Dinge an einem Tag zu erleben, wirkt fast schon wie ein Traum. Und genau das ist diese Reise auch: traumhaft.

KUS-Ticker

Montag, 09.12.2024

  • 06:45 Uhr: Signal K
  • 08:27 Uhr: Fallen des Backbord-Ankers
  • 08:37 Uhr: Fallen des Steuerbord-Ankers
  • 08:42 Uhr: Die Anker halten
  • 10:00-13:00 Uhr: Segelpacken & Großreinschiff
  • 14:30-18:00 Uhr: Landgang

Dienstag, 10.12.2024

  • 09:30-11:30 Uhr: Auswertung Schiffübergabe
  • 13:00-18:00 Uhr: Dinghi-Ausbildung