Über Luxus-Marinas und das, was wir für selbstverständlich halten

Datum: 14.12.2024
Mittagsposition: 12°42,1’N; 61°21,0‘W
Etmal: 0 sm
Lufttemperatur: 28° C, Wassertemperatur: 29° C, Windrichtung und Stärke: ESE 1

Bequia. Unser erster Eindruck von der Welt jenseits des Atlantiks. Dort, wo wir zum ersten Mal seit fast einem Monat an Land gingen und unsere Zehen in den karibischen Sand graben durften. Dort, wo wir durch die Straßen schlenderten und den uns völlig unbekannten karibischen Flair mit allen Sinnen aufsaugten. Dort, wo wir alle erstmal verarbeiten mussten, was wir eigentlich erreicht haben, immerhin lag ein kompletter Ozean nun hinter uns.

Nach drei wunderschönen Landgangstagen verließen wir diese Insel auch schon wieder, um zu den Tobago Cays, einem nahegelegenen Riff zu aufzubrechen. Vorher mussten aber noch einige Schiffsarbeiten beendet und Kraftstoff sowie Wasser gebunkert werden. Dazu steuerten wir Canouan an, was etwa vier Stunden von Bequia entfernt liegt. Als ich von der Fahrtdauer hörte, war mein erster Gedanke, wie kurz das eigentlich ist. Wenn mir zuhause jemand erzählt hätte, wir würden jetzt vier Stunden lang irgendwo hinfahren, hätte ich diesen Gedanken garantiert nicht gehabt, aber nach einer Atlantiküberquerung hat man da anscheinend andere Maßstäbe. Pünktlich um 08:00 Uhr waren die Anker aus dem Wasser und die Thor setzte sich mit dem Tuckern von Olga in Bewegung. Schon bald wurde die Admiralty Bay hinter uns immer kleiner, bis wir den westlichsten Punkt Bequias passierten. Als wir den Kurs Richtung Süden änderten, offenbarte sich langsam eine wirklich beeindruckende Landschaft. Man sah rundherum zahlreiche, sattgrüne Inseln wie die Isle a Quatre, Mustique und sogar Union Island in der Ferne, die sich aus dem türkisblauen Wasser erhoben. Der Passatwind, der auch uns hierherbrachte, sorgte für ein spektakuläres Wolkengebilde mit Regen am Horizont. So sieht also die Karibik aus.

Bald schon näherten wir uns der Nordseite Canouans und das Erste, was uns ins Auge stach, war ein riesiges magentafarbenes Schild, das an der Seite eines Hügels angebracht war: „Sandy Lane Yacht Club“. Daneben und auch an der darunterliegenden Küste waren Bagger und Kipplader damit beschäftigt, besagten Hügel zu Schutzwällen umzufunktionieren, indem sie ihn ins Meer schütteten. Als wir die Hafeneinfahrt passierten und einen Blick über das Gelände schweifen ließen, waren wir gelinde gesagt erstaunt: Eine brandneue Marina mit blitzblanken Stegen und einer Häuserreihe, die selbst für eine Filmkulisse zu perfekt war und eher wie eine Pappfassade wirkte. Man merkte überall, dass dieser Ort für Superyachten erbaut war, von denen jedoch weit und breit keine zu sehen war. Als wir dann an Land gehen durften, bot sich uns ein eher schräges Bild: Die Thor wirkte etwas verloren auf diesem riesigen, menschenleeren Gelände, wie ein alter Wohnwagen mitten in Disneyland. Nicht, dass unser schönes Schiff einem alten Wohnwagen gleichen würde, denn es hat Charakter – und der fehlte hier vollkommen. Beim Herumgehen fühlten wir uns gleich wieder wie in einer neuen Welt und kamen anfangs aus dem Staunen nicht heraus: Springbrunnen in Seepferdchenform, nahezu perfekt getrimmte Hecken und natürlich der kleine Flughafen nebenan, auf dem just in dem Moment ein Privatjet mit ohrenbetäubendem Lärm abhob. Unser Highlight waren natürlich die klimatisierten Bäder, in denen allein die Duschkabinen so groß waren wie unser halber Sanitärbereich und in denen man natürlich wesentlich länger als eine Minute duschen durfte. Ich denke, jeder genoss diese Annehmlichkeiten, doch bald kam das Gefühl auf, dass irgendwas daran nicht richtig war.

Wir lebten zwei Monate lang so gut wie ohne Luxus und hatten trotzdem eine wahnsinnig tolle Zeit. Auf Bequia herrscht lange nicht der Lebensstandard wie in Europa und doch machten die Menschen dort einen weitaus fröhlicheren Eindruck als daheim. Das wirft doch schon die Frage auf, ob wir denn all diese Dinge wirklich zum Glücklichsein brauchen. Eine Luxus-Marina ist natürlich ein Extrem, aber zuhause hielten wir so viele Dinge als selbstverständlich und jetzt freuen wir uns über Kleinigkeiten wie kleine Kinder. Ein Beispiel hierfür ist unser Adventskalender. Vor einem halben Jahr hätte ich nicht mal mit der Schulter gezuckt, wenn ich einen Gutschein für ein Glas Orangensaft bekommen hätte. Jetzt aber, wo akribisch jeden Tag nur ein halbes Glas ausgeschenkt wird, ist das plötzlich etwas Besonderes. Worauf ich hinaus will ist, dass uns paradoxerweise weniger Luxus glücklicher macht. Wir Menschen sind in der Hinsicht etwas komisch, aber eigentlich lässt sich diese Eigenheit doch recht gut ausnutzen. Wenn wir bewusst auf kleine Dinge verzichten, ist das zwar anfangs etwas unangenehm, denn wer will schon Lebensstandard verlieren? Doch nach dieser kurzen Phase merkt man dann ziemlich schnell, dass man auch ohne diese Dinge gut auskommt und wenn dieses Gefühl herrscht, kann man dann ja bewusst ebenjene Dinge genießen und obwohl man weniger hat als vorher, geht es einem damit besser. Und ganz nebenbei hätte dieses veränderte Konsumverhalten auch einen positiven Einfluss auf unsere stark überbelastete Umwelt. Was ich hier erzähle, ist freilich nichts neues, aber diese Luxus-Marina in Kontrast zu unserem Leben auf der Thor hat mich genau das in konzentrierter Form wahrnehmen und erfahren lassen. Vermutlich kann ich mit diesem Text niemanden überzeugen, denn diese Erfahrung muss man einfach selbst gemacht haben.

Am nächsten Tag wollten wir eigentlich vormittags auslaufen, jedoch verzögerte sich das, weil die neue Farbe am Rumpf erst trocknen musste. Gerade als Signal K gegeben wurde, fing es an zu schütten wie aus Eimern und somit beschlossen wir, erstmal abzuwarten. Hier in den Tropen ist Regen nicht wie daheim eiskalt und unangenehm, sondern eigentlich wie eine lauwarme Dusche an einem heißen Sommertag. Daher war es auch nicht verwunderlich, dass einige mit Badekleidung an Land gingen und herumalberten. Ich selbst hätte zwar auch Lust dazu gehabt, jedoch nutzte ich die Zeit, um an meinem Wichtelgeschenk weiterzuarbeiten. Irgendwann wurde entschieden, trotz des anhaltenden Regens aufzubrechen, da wir sonst den Ankerplatz nicht mehr vor Einbruch der Dunkelheit erreichen würden. Wir ließen diesen seltsamen Ort hinter uns und mit ihm auch die Regenwolke, die trotz des Winds still über Canouan hängen blieb. Als der Anker fiel, war die Sonne tatsächlich schon untergegangen und hier offenbarte sich wieder ein Unterschied zur Heimat. Anders als dort wird es hier innerhalb von 10 Minuten zappenduster und so etwas wie eine Dämmerung gibt es nicht, als würde jemand am Ende des Tages einfach das Licht ausknipsen. Vom Riff sah man daher nicht viel, aber dazu werden wir noch genug Gelegenheit haben.

In diesen beiden Tagen durfte ich unglaublich viele Erfahrungen sammeln und daraus auch viel lernen. Vor allem auf Canouan wurde mir klar, wie sehr diese Reise und das, was wir dabei erleben, Einfluss auf unsere Sichtweisen und Verhalten hat. Dafür bin ich sehr dankbar, denn solche Dinge kann man einfach nicht in einer (konventionellen) Schule lernen.

Liebste Ariane, ich wünsche dir von ganzem Herzen alles Gute zu deinem Geburtstag. Leider kann ich dir nicht persönlich gratulieren, aber ich hoffe, du hast einen wunderschönen Tag und lässt dich gut feiern.

KUS-Ticker

Freitag, 13.12.2024

  • Adventskalendertürchen für Finn und Leon
  • 07:10 Uhr: Signal K
  • 08:00 Uhr: Auslaufen Admiralty Bay, Bequia
  • 11:15 Uhr: Signal K
  • 12:00 Uhr: Einlaufen Sandy Lane Yacht Club, Canouan
  • 13:20 Uhr: Referat Tourism von Ollie
  • 14:30-18:30 Uhr: Landgang mit Handyausgabe
  • 18:40 Uhr: Vortrag Commonwealth von Lotta
  • 19:00 Uhr: Grillabend an Bord
  • 20:00 Uhr: Kurzes Projektetreffen
  • Bis 22:00 Uhr: Landgang

Samstag, 14.12.2024

  • Adventskalendertürchen für Caspar und Luki
  • 08:30 Uhr: Referat Korallenriffe von Justus
  • 09:30 Uhr: Bio-Unterricht an Land
  • 12:00 Uhr: Signal K
  • 16:30 Uhr: Signal K
  • 16:45 Uhr: Auslaufen Sandy Lane Yacht Club, Canouan
  • 18:00 Uhr: Ankern bei den Tobago Cays
  • 20.00-21:00 Uhr: Wachtreffen zum Abschluss der Seeetappe
  • 21:30 Uhr: Filmeabend auf dem Hauptdeck