Paradies in Grün
Datum: 02.01.2025
Mittagsposition: 09°33,364´N; 079°39,656´W
Etmal: 76 sm
Lufttemperatur: 26° C, Wassertemperatur: 26,5° C, Windrichtung und Stärke: NE1
Du bist in einer Welt aus wohliger Dunkelheit. Fetzen von Träumen ziehen an dir vorbei, verschiedene Bilder und Töne, dann ein klarer Klang wie aus weiter Ferne. Du horchst auf, der Ton scheint immer näher zu kommen. Du kennst diesen Ton. Dein Magen knurrt und du wachst auf.
Es war die kleine Glocke, die geläutet wird, wenn es Essen gibt. Etwas müde, aber vorfreudig stehst du auf und machst dich für das erste Frühstück des Jahres bereit.
Du kommst an Deck und wirst von strahlendem Sonnenschein begrüßt. Eine leichte Brise lässt die warme, salzige Luft durch deine Haare tanzen und trägt das Geräusch von plätschernden Wellen an dich heran, die sanft gegen die Bordwand schlagen. Sobald sich deine Augen an das helle Licht des blauen Himmels gewöhnt haben, blickst du auf eine idyllische Landschaft aus türkisem Wasser, die Sonne, die sich auf der glatten Oberfläche spiegelt und einen eleganten Vogel, der über der Wasseroberfläche seine Runden dreht. Unterbrochen wird dieser Anblick nur durch das tiefe Grün der mit Palmen überzogenen Inseln mit ihren kleinen Sandstränden.
Die ersten müden Gesichter erscheinen an Deck und du wirst begrüßt mit den Worten:
„Frohes Neues!“
Für viele von uns war das erste Aufwachen im neuen Jahr etwas ganz Besonderes. Aber das Hochgefühl, in der Karibik zu sein, war nicht das einzige, das uns beschäftigt hat. Für viele war dieses Silvester das erste, dass sie nicht zu Hause verbracht haben und das erste, das sie nicht zusammen mit ihrer Familie feiern konnten. So hat man nicht nur in glückliche oder verschlafene Gesichter geblickt, sondern auch in traurige. Viele waren mit den Gedanken bei der Familie und den Freunden zu Hause.
Allerdings kam eine willkommene Ablenkung: das Auslaufen. Es gab viel zu tun. Die drei kleinen Boote mussten aus dem Wasser geholt und verstaut, die beiden Anker gehievt und das gesamte Schiff seeklar gemacht werden. Bänke wurden festgebunden und alles, was bei Wellenbewegung runterfallen könnte, sicher verräumt oder angebunden.
Und dann ging es auch schon wieder los: Wir manövrierten uns durch Inseln hindurch und an Untiefen vorbei bis auf die offene See, wo alle erst einmal durchatmen und sich auf das Mittagessen freuen konnten. Jetzt hieß es den kühlen Fahrtwind genießen, auf das weite Meer schauen, oder doch noch ein paar Arbeiten verrichten, lesen, kochen, Blog schreiben. Auch der 25-seitige, wissenschaftliche Fragebogen zur Hälfte der Reise konnte zu dieser Zeit erledigt werden, wenn auch unterbrochen, denn plötzlich ertönt der Ruf: „Delfine auf Backbord“ und schon hingen wieder alle an der Reling und bewunderten die Tiere. Wer die Delfine verpasst hatte, ging nicht leer aus, denn in einiger Entfernung war ein verrostetes Wrack zu betrachten, ein riesiges Schiff, das schon vor vielen Jahren auf einer Untiefe gestrandet sein muss und das jetzt schief und wettergezeichnet bei Sonne wie Sturm seine Stellung hält.
Als dann alle erschöpft ins Bett fielen, gesättigt von leckeren Gnocchi mit Gorgonzolasoße, war der erste Tag des Jahres 2025, ein Tag auf einem Traditionssegler mitten in der Karibik, auch schon vergangen.
Heute Morgen hieß es erst einmal staunen: Über Nacht sind wir in eine Bucht des panamaischen Festlandes eingelaufen und nun liegt ein Geruch von frischem Regen, feuchter Erde und Nebel in der Luft. Um uns herum erheben sich wild bewachsene Hügel. Palmen sind auf den steilen Abhängen nur noch vereinzelt zu sehen, dafür gigantische Baumkronen in den verschiedensten Formen und allen Tönen von Grün. An vielen Stellen sind sie durchwuchert von Kletterpflanzen und Gewächsen, die wir noch nie gesehen haben und nicht zuordnen können. In der Ferne erstreckt sich, halb von Nebelschwaden bedeckt, eine Gebirgslandschaft mit weiten, baumlosen Abhängen. An einigen Stellen steigt Wasserdampf aus dem Regenwald auf und vermengt sich mit der tiefen Wolkendecke, die für fast blendend weißes Licht sorgt. Am unteren Rand der Hügelkette ist ein von Pflanzen durchsetztes Dorf mit bunten Häusern angesiedelt, dessen Geräusche sich mit dem Zwitschern der einheimischen Vögel vermischen.
Unterbrochen wird dieses paradiesische Bild nur von einem süßen Geruch aus der Kombüse, denn zur Feier des Tages gibt es etwas ganz Besonderes zum Frühstück: Die Backschaft hat für die ganze Besatzung Pain au Chocolat aufgebacken, weil wir heute alle viel Energie brauchen. Das große Packen steht an: Alles, was zum Landaufenthalt in Panama mitgenommen werden soll, muss heute ausgewählt, sortiert und in die verschiedenen Rucksäcke verteilt werden, viele Ausrüstungsgegenstände müssen erst noch wiedergefunden werden. Die Bord-Bank muss geöffnet und Geld abgehoben werden. Um zu verhindern, dass sich in den kleinen Kammern Gepäck und Menschen übereinanderstapeln, sind wir in Vormittags- und Nachmittagsschichten eingeteilt, um alles für die große Exkursion vorzubereiten. Die Stimmung ist geschäftig, es wird gekramt, gesucht, die letzte Wäsche gewaschen, alle wuseln herum und sind wahlweise produktiv oder panisch, weil irgendetwas nicht auffindbar ist.
Aber neben dem ganzen Packstress kommt auch schon die Vorfreude auf – immer, wenn man an Deck steht und die Luft des Regenwaldes einsaugt, wenn man zum ersten Mal den Trekking-Rucksack aus der Unterkoje herauskramt oder wenn Ruth uns empfiehlt, die Sandalen bereitzuhalten, da wir bald durch Flüsse waten werden.
Panama wird ein Erlebnis, das uns für immer in den Köpfen bleiben wird und ich bin voller Vorfreude auf die einmaligen Erfahrungen, die wir zweifelsfrei gemeinsam sammeln werden. Also: Ab in den Regenwald, auf ein baldiges Wiedersehen und darauf, dass wir alle gesund und munter zurückkehren!