Warschau: Reizüberflutung, oder doch nicht?

Datum: 10.12.2025
Mittagsposition: 15°39,9‘N; 061°27,8‘W
Etmal: –
Wetter: Lufttemperatur: 29,5 °C, Wassertemperatur: 27,5 °C, Windrichtung und Stärke: E 5

Ich sitze oben im Rigg auf der Groß-Saling (Zwischenplattform an den Masten) und blicke hinaus. Ein einsamer Vogel gleitet über den wolkenlosen Himmel. Ich verfolge ihn mit meinem Blick und atme tief durch. Das Gefühl, das in mir aufsteigt, ist schwer in Worte zu fassen. Ruhe und Sorglosigkeit sind nah dran. In einer Weise kenne ich diese Stimmung von zu Hause, wenn ich zum Beispiel nach einer Wanderung oben auf der Spitze des Berges stehe und in die Ferne schaue. Genauso aber auch, wenn ich einen etwas verregneten Tag eingekuschelt mit einem Buch verbringe. Diese Eindrücke finde ich auch auf der Thor, denn Gelassenheit und Frieden schleichen sich hier an den unterschiedlichsten Orten ein.

Zum einen spüre ich das Gefühl während der stillen Minute, die wir vor jeder Mahlzeit abhalten. Diese ist fester Bestandteil unseres Alltags, denn es passiert immer so viel auf unserem Schiff: Alle wuseln herum und haben etwas zu tun. Deshalb wollen wir vor jedem Essen einmal kurz zur Ruhe kommen, die Stille genießen oder auch den bisherigen Tag Revue passieren lassen. Dabei schließe ich gerne die Augen und versuche für eine Minute an nichts zu denken – das ist gar nicht so einfach, denn wie denkt man denn an nichts? Ansonsten schaue ich gerne, wenn wir auf dem Hauptdeck essen, hinaus auf den Horizont. Dort nur die drei W’s – Wasser, Wellen und Wolken – zu sehen, entspannt mich immer. Ich könnte stundenlang die Wellen verfolgen, wie sie immer wieder aufsteigen und brechen. Dabei denke ich häufig darüber nach, dass dies ein unendlicher Kreislauf ist, den Millionen Menschen tagtäglich auf der ganzen Welt beobachten.

Ich liebe es allgemein, mal rauszuschauen. Für mich ist es eine kleine Tradition geworden, morgens mit meiner Zahnbürste in der Hand aus dem Schott meist auf den offenen und unendlichen Ozean zu schauen. Oft ergreift mich ein Gefühl der Ehrfurcht: Dass mir einfach diese Chance geboten wird und ich 6 ½ Monate mit so vielen tollen Menschen über den Atlantik segeln darf, ist für mich manchmal immer noch surreal.

Und auch während der Nachtwache kenne ich diese Empfindungen: Alle sind etwas verschlafen und dann sehen wir den wunderschönen Sternenhimmel oder auch die Biolumineszenz. Beides sind natürliche Leuchtphänomene, die ganz unterschiedlich sind, aber uns alle jedes Mal aufs Neue faszinieren.
Vor allem nachts im Ausguck kommt bei mir häufig eine innere Ruhe auf, denn es sind nur wenige Menschen wach und ich habe die Chance, mich auf mich und besonders auf meine Umwelt zu konzentrieren. Ob Lichter von entfernten Schiffen, die doch ganz nah sind, wenn man sich die Weite des Atlantiks vor Augen hält, oder die Segel der Thor, mit denen wir unterwegs sind. Alles scheint plötzlich wichtig und man selbst doch so klein. In völliger Dunkelheit – etwas, das ich als Stadtkind nicht wirklich kenne – segeln wir in Stille durch die Nacht.

Heute beim Schnorcheln hat mich ein ähnliches Gefühl beschlichen. Wir sind zu neunt zusammen mit Tobi und Ruth mit dem Dinghi ein Stück weg von der Thor gefahren und haben dort wunderschöne Korallen und Fische beobachten können. Dabei wortwörtlich abzutauchen und sich für eine gewisse Zeit einfach treiben zu lassen, ist so ein schönes Gefühl. Ich habe gemerkt, wie ich wirklich ruhiger geworden bin. Vor allem körperlich, denn mir läuft ganz häufig am Anfang Wasser in den Schnorchel, weil ich zu abrupte Bewegungen mache oder einfach zu hibbelig bin. Da hilft es mir, durchzuatmen und mich auf den Moment zu konzentrieren. Das habe ich allgemein auf der Thor verstärkt gelernt. Heute fand ich es besonders schön, weil man in der Beobachtungsrolle sieht, wie ein ganz eigenes und besonderes Ökosystem, und zwar der Ozean, funktioniert. Dieses habe ich in letzter Zeit lieben gelernt und einen großen Respekt dafür entwickelt. Die Meere stellen einen riesigen Teil unserer Erdoberfläche dar und wir wissen dennoch so wenig über sie. Zu verstehen, dass der winzige Teil, den ich heute betrachten konnte, ein Teil von etwas so Riesigem ist, finde ich besonders.

All diese Wahrnehmungen versuche ich immer aufzusaugen, denn es sind ganz besondere Momente und Gefühle.

KUS-Ticker

Mittwoch, 10.12.2025

  • ab 11:30 Uhr: Landgang (bis 18:00 Uhr)
  • 11:30 Uhr: Kanueinführung von Toke
  • 12:00 Uhr: Schnorcheleinführung von Tobi