Nie erzählte Geschichten
Unsere Reise ist schon zur Hälfte vorbei, also frage ich mich: Was werde ich vermissen, wenn ich wieder zu Hause, wenn ich nicht mehr auf dem Wasser bin? Natürlich meine Freunde, das Schiff, die Wellen und das Meer und – das ist mir nach längerem Nachdenken klar geworden – Kleinigkeiten. Kleinigkeiten, die auf den ersten Blick unscheinbar und unwichtig erscheinen mögen, aber für mich diese Reise erst bunt und lebendig machen. Ein Bild, ein Geruch, ein Gedanke in den Köpfen und Herzen eingeschlossen und verborgen. Eine Sache, so winzig, dass man keine Geschichte darüber erzählt, kein Wort darüber verliert.
Sie werde ich vermissen, alle diese Kleinigkeiten!
1. Das Wasser
Im Ausguck gibt es weit draußen eigentlich nur selten etwas zu melden. Mal ein Fischer, mal ein Frachter, ansonsten hat man viel Zeit, die Wellen zu beobachten, die gegen unsere Bordwand schlagen. Bei schönem Wetter und leichtem Wind erscheint das Wasser tiefblau und seine Schaumkronen wippen wie zu einer leisen Melodie über die Wellen. Je stärker es aufbriest, desto größer werden sie und die zischenden Blasen malen die schönsten Muster aufs Wasser. Doch zieht es zu, so wird alles schlagartig silbergrau, die Wellen schwappen über Deck und werden vom Wind in kleinen Kräuselungen über den roten Lack geblasen, bis der nächste Schwung sie mit sich reißt. Die kleinen Tropfen wehen einem entgegen und ist man zur falschen Zeit am falschen Ort, wird man von einer Welle komplett überspült. Auch wenn ich dann fluche und schimpfe, so werde ich das alles vermissen: Die Wellen, den Schaum und den Wind.
2. Das Schiff
Noch etwas was mir fehlen wird, ist das Gefühl von Salz zwischen meinen Fingern. Es ist überall: An den Schotts, an der Reling, an den Handläufen. Seine kleinen Kristalle bilden eine raue Oberfläche und sein Geruch ist fast unmerklich, aber allgegenwärtig. Auch immer da ist das Knarren der Masten, bei Seegang oft so rhythmisch, dass man, wenn man es beschließt eine Pause zu machen, den Kopf wendet und sich fragt, wo es geblieben ist. Es ist neben dem Klang der Wellen an der Bordwand das einzige, dem ich nachts in ruhigen Minuten lauschen kann. Sind wir im Hafen hört man stattdessen, wie die Festmacherleinen, die uns an der Pier halten, langsam gestreckt werden. Das Wasser wird bei jeder Bewegung aus den einzelnen Fasern gedrückt und läuft in Tropfen die Leine herunter, ähnlich wie beim Durchsetzen eines durchweichten Tampen, bei dem dir die Nässe kalt in die Ärmel läuft. Ich werde auch das Harz auf eben diesem Tauwerk vermissen, dessen Geruch mir so oft in die Nase steigt und durch das sich meine Finger wie gewachst anfühlen. All das wird nicht mehr das sein an dem Tag, an dem ich die Thor verlasse.
3. Die schönen Momente
Die schönsten Momente sind oft die, die man erst als solche erkennt, wenn sie vorüber sind. Sie ziehen vorbei in Bildern und Farben.
Morgens zusammen am Deckshausschott zu stehen, sich die Zähne zu putzen und den Himmel und die Wellen zu betrachten, häufig geziert von einer milden Morgenröte
Auf einer Backskiste liegend den schlagenden Segeln zu lauschen und die letzten Sonnenstrahlen zu genießen.
Mit seinen Freunden auf dem Deckshaus zu sitzen und über Belanglosigkeiten zu schwatzen.
Man sieht sie viel zu selten und vergisst sie viel zu schnell. Sie vermisse ich jetzt schon am meisten.
Aber noch muss ich das gar nicht, und ich bin für jeden Tag dankbar, an dem ich diese kleinen Dinge erleben darf. Immer und immer wieder erinnert mich das Gefühl der spritzenden Gischt, die mir in die Schuhe weht, daran, wie weit von zu Hause wir jetzt noch sind. Solange möchte ich keinen dieser Momente missen müssen.
KUS-Ticker
Sonntag, 07.02.2021
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