Wenn Brotscheiben fliegen lernen

Datum: 24.10.2024
Mittagsposition: 44°53,4’N; 008°54,2‘W
Etmal: 121 sm
Lufttemperatur: 18° C, Wassertemperatur: 18° C

„Guten Morgen Jannika, es ist jetzt fünf Uhr dreißig und du hast in einer halben Stunde Backschaft“, höre ich Rosa leise neben meinem Bett flüstern. Sofort öffne ich die Augen. Endlich ist es Mittwoch und ich bin einen Tag lang für einen besonderen Teil der guten Stimmung an Bord verantwortlich. Ich darf gemeinsam mit Cosima, Anton und unserem Physik- und Mathelehrer Fabian die hungrige Besatzung verköstigen.

Voller Motivation, diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen, stehe ich also auf. Ich bahne mir zwischen roten Ölzeugjacken, die rund um mich herum noch feucht an der Wand hängen, meinen Weg in die Kombüse. Dort treffen die anderen – etwas verschlafen – auch bald ein und der Tag kann beginnen.

Zum Frühstück soll es wie immer Obstsalat und Brotzeit geben. Dafür schleichen Fabian und ich hinunter, wo der Generator für unsere Stromversorgung von ihm summend angeschaltet wird. Anschließend holen wir eine Kiste mit allen nötigen Lebensmitteln aus der Kühllast. Als wir wieder nach oben kommen, ist Anton schon konzentriert dabei, uns einen zusätzlichen Motivationskick zu verpassen: Er analysiert, wie die Musikanlage zum Laufen gebracht wird. Begleitet durch die sanfte Stimme von Adele erfahren wir bald, dass es für jede Lebensmittelkategorie eine eigene Farbe der Schneidebretter gibt. Auf senfgelben Brettern fangen wir also an, das saftige Obst klein zu schneiden. Wir liegen gut in der Zeit, doch lernen schon unsere erste Lektion. Als Fabian beginnt, das Brot zu schneiden, machen sich einige der Scheiben selbstständig und fliegen mit der nächsten Wellenbewegung auf den Boden. Wir merken gleich: Alles, was nicht festgehalten oder durch Rutschmatten fixiert wird, fällt dem Seegang zum Opfer. Eigentlich hätten wir vorgewarnt sein müssen, denn bereits am Tag zuvor konnte man Sätze wie „Und dann sah ich nur noch, wie Brotscheiben durch die Gegend flogen“ hören. Aber ständig darauf zu achten ist eine überraschend schwierige Aufgabe.

Nachdem auch die ein oder andere Käsescheibe fliegen lernte, schaffen wir es pünktlich um sieben Uhr, Wache vier das Frühstück zu servieren. Nach und nach beglücken wir auch die anderen drei Wachen mit einer reichhaltigen Mahlzeit, bis um zehn Uhr dann alle gut in den Tag gestartet sind.

Für uns heißt es nun putzen. Zum einen die Messe – unser geliebtes Wohn- bzw. Esszimmer – und zum anderen das schmutzige Geschirr. Schon bald triefen die ersten Handtücher vom fleißigen Abtrocknen und ich gehe ein paar neue holen. So bunt wie die Tücher sind dann auch die verschiedenen Bretter, auf denen Cosima und Anton das Gemüse für das Mittagessen vorbereiten. Nebendran sprudeln zwei Töpfe mit heißem Wasser, auf die wir die Spätzle wegen des Seegangs lieber aufteilen. Schon bald bekommen diese Gesellschaft von einem etwas kleineren Topf, in dem Anton eine cremige Rahmsauce zusammenrührt. Und auch die Wellen schicken uns zwischendurch einen Gruß in die Kombüse, indem sie hin und wieder ein paar flüchtig abgelegten Gegenständen Flügel verleihen. Seine Sauce weiß Anton allerdings gut zu schützen und klemmt sie mit dafür vorgesehenen Metallstangen auf dem Herd fest. Je öfter Leute bei uns vorbeischauen und den leckeren Geruch loben, der mittlerweile durch das Schiff wabert, desto mehr wird uns nicht nur warm um’s Herz, sondern die gesamte Kombüse zu einem Ort mit sommerlichen Temperaturen. Endlich ist der Moment gekommen, auf den wir uns bei jeder kalten Nachtwache in den letzten Wochen gefreut haben. Wir können früher als erwartet ein T-Shirt aus unserer Unterkoje – dem Bereich unter unseren Betten – herauskramen. Und als ob das nicht schon unerwartet genug wäre, bekommen wir noch eine Portion Spaß dazu. Denn als ich anfange, das Gemüse und die Spätzle im Bräter kross zu braten, legt sich sanft ein Film von Öl auf den Boden. Ab jetzt heißt es auch für uns gut festhalten, sonst beginnt man mehr oder weniger unfreiwillig in der Kombüse Schlittschuh zu laufen.

Nicht ihre Schlittschuh- sondern ihre Multitasking-Künste zeigt uns Cosima plötzlich, als uns auffällt, dass es auch für gluten- und laktoseintolerante Besatzungsmitglieder noch ein Essen zu zaubern gilt. Im Handumdrehen sind Mac ’n’ Cheese und eine Asia-Pfanne kreiert. Pünktlich um zwölf Uhr balancieren Fabian und ich dann den fertigen Spätzle-Auflauf in die Messe hinunter. Das verlangt uns beim noch heißen Blech und beachtlichem Seegang durchaus einige Akrobatikkünste ab, doch gemeinsam meistern wir auch diese Herausforderung souverän. Nachdem alle Besatzungsmitglieder wieder frisch gestärkt sind, gibt es um 13 Uhr eine kurze Schiffsversammlung, bei der das Wetter für die nächsten Tage bekannt gegeben wird.

Dann heißt es für uns vier aus der Backschaft ein weiteres Mal schrubben, was das Zeug hält, während bei den anderen der gewohnte Bordalltag wieder seinen Lauf nimmt. Doch vorher gönnen auch wir uns erstmal eine kurze Sonnenpause. In dieser werden Fabian und ich auch direkt daran erinnert, auf was für einem Abenteuer wir uns gerade befinden. Vollkommen unerwartet werden wir nämlich von einer ziemlich großen Welle geküsst. Nachdem dadurch dann ein weiteres trockenes T-Shirt aus der Unterkoje hervorgeholt werden konnte, machen wir uns fleißig daran, Schüsseln, Tellern und Besteck wieder ihren Glanz zurück zu verleihen. Leider lässt uns dabei das wichtigste Gerät aus der Kombüse im Stich: die Musikanlage. Doch irgendwann ist auch das letzte Schneidebrett gespült und ein fruchtiger Beerenquark, der zum Naschen verleitet, von unserer Küchenfee Cosima zusammengerührt. Wie immer pünktlich, geben wir diesen um 16 Uhr aus, auch wenn wir vorher dank des Seegangs alle Löffelchen zweimal spülen müssen. Darin sind wir mittlerweile aber sowieso schon Profis. Deshalb geht es auch direkt weiter damit, wobei wir diesmal relativ schnell fertig sind – und schon beginnen die Vorbereitungen für ein überzeugendes Abendessen. Um 18.30 Uhr servieren wir dann Spätzle-Salat und Brotzeit. Davon haben wir weitaus genug und können allen einen schönen Ausklang des Tages bieten.

Während die anderen sich nun Stück für Stück in ihre gemütlichen Kojen kuscheln, geht bei uns noch einmal eine richtige Abwaschparty los. Wir bekommen eine Musikbox geliehen und sogar ein paar helfende Hände lassen sich blicken. Als sich dann auch bei uns der Tag dem Ende zuneigt, überkommt uns langsam die Müdigkeit. Wir schwingen ein letztes Mal die gelben Putzlappen, gleiten auf dem feuchten Boden mehr oder weniger elegant durch die Gegend und erfüllen noch die Tagesaufgabe von Mittwoch: alle Unterschränke auswischen und wieder ordentlich einsortieren. Zum krönenden Abschluss lässt uns Florentin aus der Nachtwache noch seine Unterschrift da, dass alles korrekt geputzt ist. Nach 16 Stunden in der Kombüse kramen dann auch wir unsere Zahnbürsten heraus und ich darf sogar bis zum nächsten Morgen durchschlafen. Denn Personen aus Wache eins und zwei müssen in den Nächten vor und nach der Backschaft aufgrund von späten Wachzeiten nicht zur Nachtwache erscheinen.

Nach einer sehr erholsamen Nacht werde ich am Donnerstagmorgen um zwanzig nach neun geweckt. Als ich die Tür meiner Kammer öffne, empfängt mich der süße Geruch von Pancakes. Er erinnert mich sofort daran, dass heute ein besonderer Tag ist. Am Donnerstag serviert die Backschaft uns wie auch am Sonntag nämlich außergewöhnliches Essen. Wir genießen also Pancakes, Nutella, Brötchen und Erdnussbutter zum Frühstück. Dank dieses großartigen Startes in den Tag beginnen wir motiviert um kurz nach zehn mit Reinschiff. Wir putzen gründlich in der Last, bis um elf Uhr die Wache beginnt. Ich bin in Wache eins und habe tagsüber von elf bis vierzehn Uhr Wache. Bevor die Backschaft uns um zwölf Uhr riesige Portionen von leckerem Essen serviert, erhalten wir noch eine Einführung in die Osmose-Anlage. Diese verwandelt für uns Salzwasser in Trinkwasser.

Frisch gestärkt durch Reis mit Pilz-Sahne-Sauce hören wir um dreizehn Uhr dann gespannt den Vortrag über Wetterbestimmung auf der Thor Heyerdahl von Lia. Im Anschluss sitzen einige von uns in der Messe, während in der Kombüse ein etwas vom Seegang durchgeschüttelter Zitronenkuchen gebacken wird. Um sechzehn Uhr dürfen wir diesen dann genießen. Schon etwas erschöpft vom Seegang, aber durch den saftigen Zitronenkuchen motiviert, bekommen wir von unserem Wachführer Lukas eine kleine Theorieeinheit zur Lichterführung von Schiffen. Abgerundet wird diese durch noch ein leckeres Werk aus der Kombüse, nämlich ganz viel knackigen Salat. Und so neigt sich ein weiterer Tag auf unserem schwimmenden Zuhause, durch den wir von vier tüchtigen Leuten in der Backschaft geführt wurden, dem Ende zu.

KUS-Ticker

Mittwoch, 23.10.2024

  • 13.00 Uhr: Schiffsversammlung

Donnerstag, 24.10.2024

  • 13.00 Uhr: Vortrag Wetter von Lia