Unter Zeitdruck…

Mein Atem ist irgendwie immer noch ein bisschen flacher als noch vor 10 Minuten. Die Unruhe auf dem Deck hat sich nun ein wenig gelegt. Der Ruf von Detlef „Mann über Bord“, hallt noch ein wenig in unseren Ohren. Wir wissen, dass es sich hierbei nur um eine Übung handelt, aber das ist egal. Das muss egal sein, ansonsten werden wir es niemals richtig lernen. Lennart steht am Ruder und steuert souverän auf Kurs durch die Wellen, die für eine Übung beachtlich hoch sind.  Jannik steht auf dem Achterdeck und lässt seinen Blick über das geordnete Gewusel schweifen. Man weiß nicht ganz, was er denkt, seine ernste Miene kann man nicht wirklich lesen. Ich finde es bewundernswert, wie schnell er seine Stimmung von sehr lustig zu so ernst wandeln kann. Während das Rescue-Boot mit Andreas, Johannes und Simon durch das Wasser prescht, wird Morten ausgerüstet. Mit Schnorchel, Sicherungsleine, und Neoprenanzug steht er auf der Ladeluke bereit zum Einsatz, um zur Not die Person aus dem Wasser zu bergen. Oder eben unseren Rettungsring namens Ferdinand, wie in unserem Fall.

Die POB-Boje dümpelt unbehelligt durchs kühle Nass, als wäre sie nur eine kleine gelbe Flagge, die nichts zu bedeuten hätte. Die Hauptmaschine wird notgestartet, das bedeutet, sie wird nicht vorher geölt oder sonstig vorbereitet, sondern direkt gestartet. An Deck wird mit der Thor in den Wind gedreht. So werden wir langsamer und fahren nicht zu weit von der Person im Wasser weg. Die Gaffelsegeln werden also mittschiffs geholt und die Rahsegel vierkant gebrasst, so dass sie im rechten Winkel zum Schonermast stehen. Nun versammeln sich alle Schüler, die nichts zu tun haben unter Johannes‘ Leitung auf dem Hauptdeck. Im Rigg zeigen Paula und Peer mit Hilfe von Handzeichen der Schiffsleitung, wo Ferdinand im Wasser treibt. Nach einem Aufschießer in den Wind wird der Motor in Leerlauf umgeschaltet und Simon lässt das Boot nah an den Ring treiben. Andi und Jo hieven die Person an Bord des Rescuebotes. Nachdem sie im Schlauchboot liegt, wird über Funk Bescheid gegeben, dass nun die Trage an die Ladeluke gebracht werden muss. Nach gefühlten 30 Sekunden steht Lukas mit der Personentrage vor dem Deckshaus und hört auf weitere Ansagen.

Das Manöver wird beendet. Der Rest wäre nicht mehr wichtig für uns. Eine Herausforderung steht uns allerdings trotzdem noch bevor. Das Rescue-Boot fährt noch außerhalb der Thor. Es ist immer eine kleine Herausforderung, ein Boot bei Seegang über die Schanz zu hieven und erfolgreich auf der Ladeluke abzusetzen.

Geschafft! Es sind nun alle wieder an Bord und sogar Ferdinand hängt wieder in seiner kleinen Koje Backbord-Achtern an der Reling. Ganze 14 Minuten haben wir gebraucht. Das hört sich vielleicht gar nicht so lange an, aber wenn man überlegt, dass eine Person im kalten Wasser 14 Minuten treibt, ist eine Viertelstunde wirklich lang. Darüber möchte ich lieber nicht nachdenken. Egal wie schön es ist, im Atlantik baden zu gehen, aber ungewollt hineinzufallen, möchte ich nicht erleben.

Das POB-Manöver ist ein Manöver um Leben und Tod. Aus diesem triftigen Grund müssen wir dieses Manöver meiner Meinung nach oft genug üben. Im Ernstfall wird es immer Probleme geben, da man meistens nicht so günstige Bedingungen haben wird und alle aufgebracht sein werden. Es passieren Fehler. Aber um dieses Problemrisiko so stark zu senken, wie es nur geht, gibt es nur eine Devise. Üben, üben und nochmals üben…

Kus-Ticker

Sonntag, 14.03.2021

Mittagsposition: 38° 34,2’N; 028° 12,3‘W
Etmal: 24,7 Seemeilen
Geschwindigkeit: 5,2 Knoten
Wetter: Lufttemperatur: 17,2°C, Wassertemperatur: 16,8 °C

  • 07:15 Uhr Auslaufen nach Horta
  • 10:40 Uhr Bereitlegen der Materialien für POB-Manöver (Person über Bord)
  • 10:54 Uhr Beginn der Übung „Person über Bord“
  • 11.00 Uhr Notstart der Maschine
  • 11:06 Uhr Aussetzen des Rescuebootes
  • 11:06 Uhr Aufschießen in den Wind mit der Thor
  • 11:07 Uhr Segel mitschiffs bzw. vierkant gebrasst
  • 11:07 Uhr Bergen des Rettungsringes
  • 11:11 Uhr „Verletzter“ wieder an Bord
  • 11:45 Uhr Nachbesprechung des Manövers