Der Abschied
Vor 6,5 Monaten stand ich in Kiel an der Schwentine und sah die Thor das erste Mal in der Realität. Ich konnte es gar nicht glauben, dass wir am nächsten Tag mit dem Ziel Kanaren auslaufen würden. Dann ging es los, doch bevor wir nach Westen liefen, ankerten wir erst noch in der Heikendorfer Bucht. Danach fuhren wir durch den Nordostseekanal Richtung Helgoland, wo wir erst einmal 12 Tage lagen. Doch dann ging es richtig los, Richtung Kanaren mit einem Zwischenstopp in La Coruña an der Nordküste Spaniens. Zu den Kanaren konnten wir endlich auch segeln, dann folgten der Landaufenthalt und die ersten Verabschiedungen der Crewmitglieder. Damals fragte ich mich, wie das nur werden sollte, wenn wir nicht nur drei von uns sondern 49 liebgewonnene Menschen verabschieden sollen… Heute weiß ich – das ist hart. Immer wieder brachen wir auf, es ging weiter zu den Kap Verden und dann wieder Richtung Norden zu den Azoren. Und es folgten mehrere Verabschiedungen, aber auch Neuzugänge, mit denen es eigentlich genau so cool war.
Nun neigt sich eine weitere Seeetappe dem Ende zu, und das merkt man deutlicher als je zuvor. In der letzten Woche hat man gemerkt, dass der Abschied näher rückt. Der Abschied von zuhause, so ähnlich wie am Anfang der Reise. Doch dieses Zuhause, von dem wir uns nun trennen, ist etwas ganz Besonderes. Es hat mit uns über 8000 Seemeilen zurückgelegt. Es hat vieles mit uns durchgemacht. Bis 10 Windstärken auf dem Atlantik, unruhige Häfen oder Ankerplätze. Aber es hat auch atemberaubende Momente mit uns durchlebt. Spiegelglatte See und großartige Sonnenuntergänge. Doch der Abschied gilt nicht nur unserem mittlerweile neuem Zuhause. Auch müssen wir uns von all den supernetten, lieben Menschen verabschieden, mit denen wir die letzten Monate verbracht haben. Jeder ist etwas ganz Besonderes und an Bord für seine Eigenheiten bekannt.
Es schwirren einem Gedanken durch den Kopf, die auch einen Blick nach vorne wagen, in das neue alte Leben. Wie wird das wohl werden, wenn ich alleine zuhause sitze und meinen Lehrerinnen und Lehrern über Skype oder Zoom zuhöre, wie wird es sein, ohne alle anderen alleine in seinem Zimmer zu sein und wann werden wir uns alle wieder sehen können? Werden wir zurück auf die Thor kommen?
Der Abschied rückt näher. Nun ist es Samstagabend und wir schauen das fertig geschnittene Abschlussvideo in der Messe an. So können wir uns noch einmal die ganze Reise ins Gedächtnis rufen, bevor es am nächsten Tag von Bord geht. Doch nicht nur das Abschlussvideo ist super gelungen. Der ganze Abend ist besonders. Begonnen hat es auf dem Hauptdeck, als Ruth nochmal ein paar Worte zu uns gesagt hat. Sie ist mit einem anderen Boot, ganz coronagerecht an die Thor gekommen, eine riesige Überraschung für uns. Darauf hat ein wunderschöner Abend zusammen in der Messe gefolgt, mit Theateraufführung und Musik sowie anderen kulturellen Beiträgen.
Am Sonntag ist es dann soweit. Bevor wir den Anker hieven, verabschieden wir uns schon einmal von allen, die mit uns unterwegs waren. Mit jeder einzelnen Person hatte man gemeinsame Erlebnisse, die man nie vergessen wird.
Zum Einlaufen klettern wir auf den vordersten Mast hinauf und winken von dort aus unseren Eltern, die an der Pier stehen. Das letzte Mal Rigg für eine längere Zeit. Und dann, nachdem die Thor feierlich in Kiel um die Ecke in die Schwentine eingelaufen ist, alle Reden gehalten sind, kommt für uns der Moment des Abschieds. Nach und nach verlassen die KUSis das Schiff – ihr Schiff. Doch jedem wird zum Abschied noch eine persönlich umgedichtete Strophe gesungen. Eine Strophe unseres Liedes, das wir während der Reise so oft gesungen haben – Wir lagen vor Madagaskar. Jannik und Dietmar stehen als Vorsänger am Achterdeck und wir unten, die, die übrig waren, singen mit. Eine wunderschöne und herzliche Verabschiedung.
Viele Dinge beschäftigen uns in diesen Tagen. Doch über eines müssen wir uns keine Gedanken machen. Wir werden dieses halbe Jahr nie im Leben vergessen. Es hat viele von uns sehr geprägt. Wir durften erfahren, was es wirklich heißt, eine Gemeinschaft zu sein. Aufeinander aufzupassen, jeden zu respektieren und zu helfen, falls dieser einmal nicht weiter weiß. Dieses Erlebnis wird uns erhalten bleiben, ob auf See oder an Land.