Abschied

Es ist 7.00 Uhr, als Yvonne in unsere Kammer kommt und uns weckt. Als mir bewusst wird, welchen Tag wir heute haben, bin ich sofort hellwach. Denn heute ist DER Tag. Der Tag, auf den wir seit Monaten warten, weil es da „Leinen los“ heißt. Es ist aber auch der Tag, vor dem es mir am meisten graut. Heute werden wir unsere Eltern und Geschwister zum letzten Mal bis in einem halben Jahr sehen. Umarmen dürfen wir sie nicht mehr und alles läuft auf Abstand.

Doch bevor es zur großen Abschiedszeremonie kommt, heißt es Reinschiff, wobei hier das Augenmerk „nur“ auf dem Deck und der Pier liegt. Wir beginnen also das Deck zu schrubben, das Messing, aus dem zum Beispiel die Glocke besteht, zu polieren und die Pier aufzuräumen. Immer mal wieder sehen wir schon Eltern, die gerade kommen, neugierig auf das Schiff spitzen. Deswegen kann man auch nicht wie sonst durch Putzen oder Arbeiten im Allgemeinen vom Abschied abgelenkt werden. Nach dem Putzen werden die letzten Vorbereitungen getroffen, alle wuseln in ihren Kammern herum und wir ziehen unsere KUS-Kleidung an. Ab 9.30 Uhr füllt sich der Pier immer weiter und auch ich sehe meine Eltern und Geschwister dort stehen. Ich laufe zu ihnen hin und muss zwei Meter vor ihnen stoppen. Als mir bewusst wird, dass ich sie nun nicht mehr umarmen darf, was ich nun am liebsten machen würde, werden meine Augen feucht. Ich rede kurz mit ihnen, winke ihnen noch zu und gehe über die Gangway auf das Schiff, auf dem ich nun die nächsten 6,5 Monate verbringen werde.

Hier stehen nun alle KUSis und versuchen sich ordentlich in einer Reihe aufzustellen. Jetzt ist es auch schon 10.00 Uhr und die Abschiedszeremonie wird durch ein Klavierstück begonnen. Anschließend spricht Ruth ein paar einleitende Worte und übergibt das Wort an den Kieler Stadtpräsident. Ich versuche zwar zuzuhören, muss aber oft meinen Blick vom Redner abwenden, um zu meinen Eltern zu schauen. Wir kommunizieren über Blicke und ich erkenne den Stolz in ihren Augen, dass ich diese Reise nun wirklich durchziehe. Mir kommen Zweifel, ob ich wirklich stark genug bin, meine Familie, auf die ich mich bis jetzt immer verlassen konnte, vorerst zu verlassen. Tränen laufen über meine Wangen, aber als meine „Stehnachbarin“ mich in den Arm nimmt, merke ich, dass ich trotzdem hier angekommen bin und versuche mich von der Freude, die ich die ganzen letzten Monate seit meiner Zusage gespürt habe, anstatt von der Trauer überwältigen zu lassen.

Nachdem sich also alle KUSis vorgestellt haben, sowohl zwei Schüler als auch eine Mutter eine Rede gehalten haben, wir gemeinsam die selbstgeschriebenen Abschiedslieder gesungen haben und es die letzten Anweisungen zum Auslaufen gegeben hat, ertönt Signal K und jeder holt sich seine Rettungsweste. Wir stellen uns wachweise auf und bekommen unsere Positionen zugeteilt. Ich winke noch ein letztes Mal meiner Familie, rufe ihnen zu, dass ich sie lieb habe und da geht es los. Wir fahren unter Motor los und beginnen die Segel zu hissen. Für das erste Mal klappt es ganz gut und noch wichtiger: Es lenkt ab. Im Laufe des Nachmittags wird es auch nicht ruhiger und als ich nach der Gurt- und Riggeinweisung oben im Rigg stehe und den Tag Revue passieren lasse, kann ich mir gar nicht vorstellen, dass dies alles an einem Tag passiert ist.

Jetzt sind wir also unterwegs…

KUS-Ticker

Sonntag, 17.10.2021

Mittagsposition: 54° 21,16‘ N 010° 09,28‘E
Etmal: 2,0 sm
Wetter: Lufttemperatur: 15° C, Wassertemperatur: 13°C, Wind: SSW 1

  • 9.00 Uhr: Reinschiff
  • 10.00 – 11.00 Uhr: Abschiedsfeier
  • 11.15 Uhr: Auslaufen
  • 14.30 Uhr: Vortrag von Detlef über den Schiffsaufbau
  • 15.30 Uhr: Gurt- und Riggeinweisung
  • 16.30 Uhr: Schweinswalsichtung