Ein Schlauchboot in den Wellen

Montagnachmittag, als ich gerade in meiner Kammer war, ertönte das All-Hands-Signal. Ich war etwas verwirrt, da dieses Signal normalerweise vorher angekündigt wird, ich zog aber meine Jacke an und ging an Deck. An Deck erfuhr ich schließlich, warum wir alle gerufen worden waren. Die Fahrwache hatte ein kleines Schlauchboot in den Wellen gesichtet. Das Schlauchboot verschwand ab und zu hinter Wellen, aber man konnte zwei Personen, die mit einem orangenen Paddel wedelten erkennen. Ich war aufgeregt und etwas nervös. Zum Glück hatten wir gerade erst in Borkum geübt, was bei einer Person über Bord getan werden muss. Ich hätte nie gedacht, dass unser POB (Person over Bord) -Training so schnell zum Einsatz kommen würde.

Es war schwieriger das Rescue-Boot bei Wellen auszusetzen und es wurde ein Fehler bei der Achterleine gemacht, doch zum Glück entwickelte sich daraus kein Problem. Als das Rescue-Boot ausgesetzt war, wurde den zwei Personen nach Anweisung der Küstenwache Rettungswesten und gleich darauf Essen und Trinken gebracht. An Bord nehmen durften wir sie nicht, da wir sonst eventuell als Schmuggler oder Schlepper gelten könnten. Es war schwer zuzugucken, wie zwei Leute in einem sehr kleinen Schlauchboot herumtrieben, während wir auf einem großen, sicheren Segelschiff standen, welches um sie herum kreiste. Nach ca. 10 Minuten kam schließlich ein Helikopter. Wir dachten, er würde die Beiden bergen und ans Festland bringen. Stattdessen verschwand der Hubschrauber wieder, nachdem er einige Kreise geflogen war. Uns wurde mitgeteilt, dass die Küstenwache noch ein Rettungsboot geschickt hatte, das in ungefähr einer Stunde bei uns und dem Schlauchboot ankommen sollte. Bis dahin sollten wir in der Nähe der Flüchtlinge bleiben. Bisher war uns bekannt, dass es zwei Männer waren, die aus Somalia stammten, nach England wollten und seit fünf Tagen in diesem Schlauchboot saßen. Bald wurde klar, dass es dunkel werden würde, bis das Boot der Küstenwache ankommen würde, also sollten wir erstmal unsere Taschenlampen holen und es wurden Scheinwerfer bereitgestellt. Doch dieses kleine Schlauchboot bei Dunkelheit und Seegang im Auge zu behalten würde fast unmöglich sein. Deshalb wurde kurz danach entschieden, dass wir die beiden an Bord nehmen würden. Also setzten wir das Rescue-Boot erneut aus. Die beiden Flüchtlinge wurden aus ihrem Schlauchboot geholt und über die Reling gehoben. Sie setzten sich auf die Backskisten vor dem Niedergang zur Messe und wir gaben ihnen Decken, Tee, Wasser und warme Suppe. Sie trugen beide schwarze Jacken und waren barfuß. Sie zitterten sehr, aber sie waren ja auch schon auf dem Meer getrieben, als wir in Borkum den Sturm abgewartet hatten. Sie sagten oft etwas von fünf Leuten und es war nicht klar, ob dies bedeutete, dass dort noch ein zweites Schlauchboot war oder nicht. Die Küstenwache sucht aber nach einem zweiten Boot.

Nach kurzer Zeit wurden die zwei Männer in die Messe gebracht und wir sollten an Deck wegen Covid-19 und damit wir nicht alle um sie herumstanden. Oben fingen viele an zu weinen, weil sie die Welt ungerecht fanden und alles sehr viel gewesen war. Wir trösteten uns gegenseitig und es gab ein bisschen Schokobrötchen für alle, die wollten, da das Abendessen etwas nach hinten verschoben wurde. Dann kam das Rettungsboot der Küstenwache, um die Flüchtlinge abzuholen. Das Boot musste so nah wie möglich an uns heran, sollte aber auch nicht an uns stoßen. Doch genau das passierte, das Boot stieß nicht nur an uns heran, sondern geriet auf unser Schanzkleid. Das Rettungsboot war zwar eigentlich mit einer Gummikante ausgestattet, doch die brachte dann auch nichts, da sie nur um die Kante herum war und nicht unter der Kante. Also haben wir jetzt eine kleine Delle im Metall, doch das ist nicht weiter schlimm und wird ersetzt und repariert. Die beiden Männer aus dem Schlauchboot wurden erfolgreich auf das Boot der Küstenwache abgegeben und ans Festland gebracht.

Ich hätte nie gedacht, dass ich so etwas einmal miterlebe. Einer von ihnen konnte sogar ein bisschen Deutsch und war in Düsseldorf gewesen. Da frage ich mich, wie schlecht geht es Flüchtlingen in Deutschland, dass sie so eine lebensgefährliche Reise antreten. Man wusste zwar immer, dass Flüchtlinge mit kleinen Schlauchbooten über das Mittelmeer flüchten, aber selber mitzubekommen, dass Menschen so verzweifelt ein besseres Leben suchen, ist nochmal etwas ganz anderes.

KUS-Ticker

Montag, 25.11.21

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  • Durchgehend: Fahrwachen
  • 16:52 Uhr: Flüchtlinge in Sicht
  • 19:40 Uhr: Küstenwache holt Flüchtlinge ab