Wohl oder übel

Wohl oder übel kommt man bei einer sechsmonatigen Segelreise nicht um das Thema Seekrankheit herum, wobei vor allem das Übel überwiegt.

Manchen Crewmitgliedern ergeht es besser, manchen schlechter, doch jeder spürt ein leichtes Flaugefühl und Schwanken im Magen. Das Segelboot schwankt von Backbord zu Steuerbord von Wellenberg zu Wellenberg und wiegt sich wie ein kleines Kind in den Armen seiner Mutter. Wie eine Schaukel wippt es hin und her und seine Insassen haben nicht die Macht, das Schaukeln zu stoppen.

Wasser schwappt von Zeit zu Zeit über das Deck, während viele bleiche Gesichter in Richtung Horizont blicken und flehend darauf hoffen, ihren Mageninhalt nicht den Fischen zum Fraß vorzuwerfen zu müssen. Doch ab und zu entleert sich trotzdem der ein oder andere Magen. Die Fische wird es freuen.

Die Stammcrew gibt ständig Tipps und Ratschläge, um die Seekrankheit zu mildern. Salzstangen, Tee und Zwieback werden verteilt, doch was nützt das, wenn es nach wenigen Minuten wieder Bekanntschaft mit dem Salzwasser der Meere macht? Trotz unüberwindlicher übler Übelkeit bleibt die Stimmung an Bord erheitert. Lieder werden gesungen, Spiele werden gespielt und viele Witze werden gemacht und das bei Tag sowie bei Nacht. Denn wenn bei Kälte und im Dunkeln nachts die kleinen Sterne funkeln und Ruhe unter Deck einkehrt, man nur den schaukelnden Boden unter den Füßen spürt. Wenn man dann den hellen Mondschein am Himmel sieht und nur das Meeresrauschen hört, dann weiß man endlich, dass man angekommen ist in seinem neuen Zuhause. Nichts außer Wasser, Wasser und noch mehr Wasser soweit das Auge reicht. Ab und zu der Lichtschein eines Leuchtturms oder einer Boje und sonst nichts. Dieser Raum lässt viel Platz, um zu sich selbst zu kommen, sich selbst zu hinterfragen und Antworten zu suchen in der weiten Ferne, wo das Blau der Wellen und des Himmels nahezu unscheinbar ineinander übergeht.

Das Gefühl von so viel Freiheit und so viel Übelkeit komprimiert auf so wenig Platz ist die Kombination, die diese Stimmung an Bord ausmacht. Von Tag zu Tag kommt mehr Farbe in die Gesichter der Crewmitglieder. Die Seekrankheit nimmt langsam Abschied von der Thor und kehrt hoffentlich nicht wieder. Währenddessen erkunden wir mehr und mehr die kleinsten Winkel und Erker unserer segelnden vier Wände und lernen uns selber und die Menschen um uns herum mehr und mehr kennen. Der Klatsch und Tratsch der letzten Tage wird in den Wanten der Masten besprochen und die ersten Mastgeheimnisse werden gelüftet. Es gibt erste Höhen, erste Tiefen. Und was das kleine Tief der Übelkeit angeht, haben wir sie schon fast überstanden. Aus dem Übel wird langsam ein Wohl. Das Wohl ein neues Leben, eine neue Heimat gefunden zu haben. Alle an Bord sind froh über die jetzige Lage. Nur die Fische freut es nicht. Denn sie werden bestimmt nicht mehr so oft um die Thor Heyerdahl herumschwimmen, jederzeit darauf hoffend, ein Gemisch von Salzstangen, Tee und Zwieback von der Reling gespuckt zu bekommen.


KUS-Ticker

Mittwoch, 19.10.2022

Mittagsposition: Länge: 53°54,4`N, Breite: 006°54,3`E
Etmal: 116 sm
Wetter: bewölkt; Temperatur: Luft 13°C, Wasser 14°C; Wind: NW 4

  • 10:00 Uhr Durchfahrt durch die Schiffsbegrüßungsanlage in Rendsburg
  • 11:00 Uhr Erste grobe Theoriestunde über das Segeln
  • 15:00 Uhr Reinschiff

Donnerstag, 20.10.2022

Mittagsposition: 52°44,8´N, 003°28,9´E
Etmal: 145 sm
Wetter: bedeckt/bewölkt; Temperatur: Luft 15° C, Wasser 16°C; Wind: SE 5

  • 01:30 Uhr 9 Knoten Geschwindigkeit auf der Nordsee
  • 15:00 Uhr Feier von Ruths Geburtstag
  • 23:00 Uhr Meeresleuchten