Hinaus in die Biskaya

Datum: 22.10.2024
Mittagsposition: 48°41´N; 006°01´W
Etmal: 103 sm
Lufttemperatur: 16° C, Wassertemperatur: 16° C

Um 06:45 Uhr hallte die Signalglocke laut und schrill in meinen Ohren wider. Ein Geräusch, dass man um diese Uhrzeit mit Sicherheit nicht hören möchte. Die Glocke schrillte einmal lang, einmal kurz, einmal lang. Das bedeutet Signal K: Alle müssen sich mit Gurt an Deck in den jeweiligen Wachen aufstellen. Ich zog mir mit noch halb geschlossenen Augen mein Ölzeug an und zwang meine Beine, den Niedergang hinaufzusteigen. Das Aufstehen fällt mir immer etwas schwer, doch sobald einem die frische, salzige Seeluft an Deck ins Gesicht weht, werden die Lebensgeister geweckt. An diesem Tag stand das Auslaufen aus dem wunderschönen, englischen Hafen von Falmouth bevor. Jedoch mussten wir davor erstmal von unserem Liegeplatz an den Mooring-Tonnen an die Pier verholen. Das bedeutet nichts anderes, als mit unserer Thor umzuparken. An der Pier sollten wir noch eine Ladung Diesel für unsere „Olga“, wie wir unseren Schiffsmotor liebevoll nennen, bekommen. Diese ließ jedoch einige Zeit auf sich warten. Die Lieferung war für den Vormittag geplant, traf jedoch erst am Nachmittag ein.

Die Zeit ließ sich allerdings problemlos überbrücken, denn kurz vor dem Mittagessen brach an Deck auf einmal hektisches Treiben aus. Alle KUSis standen an der Reling und blickten in das trübe Wasser des Hafenbeckens: Ein kleines Etwas hob und senkte sich zwischen den seichten Wellen des Hafenbeckens. Unten bauchig, oben ein Hals und im Inneren steckte irgendetwas: eine Flaschenpost! Eines stand fest: Wir mussten diese aus dem Wasser holen. Das Dinghi war noch zu Wasser gelassen und so holten wir möglichst schnell jemanden vom Stamm, um es zu steuern. Das dauerte jedoch seine Zeit, da der Stamm gerade eine Besprechung hatte. Währenddessen trieb die Flaschenpost immer weiter ab. Wir wurden alle immer aufgeregter und manche wollten sogar schon selbst das Dinghi fahren, um die Flaschenpost zu bekommen. Schließlich kam doch noch Robin vom Stamm und fuhr mit zwei KUSis los. Die Flaschenpost war schnell aus dem Wasser geholt und wieder an Bord gebracht. Nachdem der Verschluss geöffnet war, kam ein kleiner Zettel zum Vorschein. Es stellte sich heraus, dass in der Flasche ein englisches Gedicht über ein 16-jähriges Mädchen namens Lucy war. Leider gab es keinen Absender oder einen Hinweis, wer die Flaschenpost ins Meer geworfen haben könnte.

Am späten Nachmittag war dann endlich alles bereit zum Auslaufen. Die Dieseltanks waren befüllt, alles war seeklar verstaut (so dass nichts herumrutscht, runterfällt oder kaputtgeht), und die Segel waren gesetzt. Nun ging es hinaus in die Biskaya, hinaus auf See und hin zur Seekrankheit. Sobald wir den sicheren Hafen verlassen hatten, hob und senkte sich unsere Thor wieder im Takt der Wellen. Erst ging es mir noch gut. Ich war im Rigg, habe oben auf dem Schonermast die Aussicht genossen, und vorne auf dem Klüverbaum den Sonnenuntergang beobachtet. Der Wind pfiff mir ins Gesicht und etwas Gischt spritze mir entgegen. Sie war etwas kalt, aber die untergehende Sonne wärmte noch mein Gesicht und zauberte mir ein Lächeln auf die Lippen. Ich war einfach glücklich. Es ist so wunderschön hier zu sein. Doch kurz vor dem Abendessen spürte ich es dann wieder: das flaue Gefühl im Magen, den Kloß im Hals und die ständige Befürchtung, gleich an Deck zu müssen. Es fiel mir schwer, etwas zu essen, doch irgendetwas musste ich ja zu mir nehmen. Nach zwei Butterbroten hatte ich genug. Ich wankte zu meiner Kammer und fiel in meine Koje. Der Seegang wiegte mich sanft hin und her und nach kurzer Zeit fielen mir die Augen zu.

Am nächsten Tag ging es mir schon wieder etwas besser. Allerdings blieb das flaue Gefühl im Magen. Der Tag verlief recht ereignislos. Das komplette Gegenteil war allerdings die Nachtwache. Wie jeden Tag wurde ich um 22:30 Uhr geweckt. Halbverschlafen zog ich mich an und ging über den Niedergang (Treppe auf einem Schiff) an Deck. Das Erste, was mir auffiel, waren leuchtende Punkte, die im Wasser an uns vorbeizogen. Meeresleuchten! Wie kleine Neonlämpchen flossen die Leuchtpunkte an unserem Schiffrumpf vorbei. Es war ein faszinierender Anblick. Dabei handelt es sich um Plankton, das bei Wellenbewegung zum Leuchten gebracht wird.

Doch das war noch nicht alles. Nachdem ich eine Weile im Ausguck stand und beobachtet habe, ob uns andere Schiffe entgegenkommen, kam auf einmal Jakob zu mir und erzählte von Delfinen am Bug. Er löste mich im Ausguck ab und so konnte ich das Spektakel ebenfalls sehen. Insgesamt drei Delfine spielten in unserer Bugwelle, schwammen hin und her und ihre grauen Körper tauchten ab und zu aus dem Wasser auf. Doch das war noch nicht alles! Durch das Meeresleuchten bildete sich um ihren Körper ein seichter Schein! Es schien, als wären die Delfine von einer Art Aura umgeben. Sie zischten im Wasser hin und her und überall, wo sie gewesen waren, hinterließen sie ein leichtes Licht. Es schien, als würden sie Bilder malen, um uns etwas zu sagen. Ihre leuchtenden Körper im Wasser hatten etwas Geisterhaftes, aber zugleich Wunderschönes an sich. Ab und zu stiegen uns leuchtende Blubberblasen entgegen und vervollständigten das magische Bild. Es war ein majestätischer und eindrucksvoller Anblick. Mein größtes Highlight der Reise bisher. Faszinierend, genial, beeindruckend – einfach unvergesslich, wie die gesamte Reise!

KUS-Ticker

Montag, 21.10.2024

  • 08:00 Uhr: Verholen an Bunkerpier
  • 14:25 Uhr: Beginn des Bunkerns
  • 15:10 Uhr: Ende des Bunkerns
  • 15:30 Uhr: Abfahrt Falmouth
  • 16:35 Uhr: Setzen des Innenklüvers, des Schoner-, Groß- und Besansegels

Dienstag, 22.10.2024

  • 13:00 Uhr: Referat „Seekrankheit“ von Johannes L.