abBRUCH
Aber fangen wir mal am Anfang an, also ganz am Anfang.
Helgoland: 23.10.2020
Land in Sicht. Die roten Felsen von Helgoland lachen uns entgegen und erlösen viele von der ersten Seekrankheit. Mit Kurs Richtung Hafen geht es den meisten schon zunehmend besser. Die Gesichter nehmen auch wieder normale Farben an und die Mienen erhellen sich beim Anblick auf unseren ersten fremden Hafen. Ich spüre… das Abenteuer beginnt.
Helgoland: 24.10.2020
Mit einem sanften „Aufstehen, du hast dich für Run & Dip angemeldet“ werde ich aus meinem angenehmen Schlaf geholt. Run & Dip… eine Aktivität, auf die ich mich schon seit Beginn der Reise gefreut habe, doch es sollte nicht so gut für mich enden. Das Joggen auf Helgoland aber ist wahnsinnig schön. Die Felslandschaft zieht mich sofort in ihren Bann, die kühle Luft die einem um die Nase weht ist eine angenehme Erfrischung und der Gedanke an das anstehende Baden im Meer lässt in mir ein Gefühl der Euphorie entstehen. Angekommen in der kleinen Bucht, in der wir das morgendliche Joggen ausklingen lassen wollten, genießen wir die aufgehende Sonne, während einer stillen Minute und machen uns bereit in das eisige Nordseewasser einzutauchen. Knack. Anstatt das eisige Wasser an meinen Füßen zu spüren, spüre ich leider nur einen Schmerz, der mich auf schnellstem Wege ins Krankenhaus befördert. Im Helgoländer Krankenhaus erfahre ich dann die Nachricht. Bei dem Sprung, den ich gemacht habe, habe ich mir den Mittelfuß gebrochen. Die Entscheidung steht schnell fest. Ich muss das Abenteuer, was gerade erst angefangen hat, unterbrechen und mit dem Katamaran wieder zurück nach Hamburg fahren.
Für mich bricht eine Welt zusammen. Viele Eindrücke prasseln in Sekundenschnelle auf mich ein. Das erste Mal Segel setzen, die Thor, die ich für eine kurze Zeit mein Zuhause nennen durfte, die bunten Häuser aus Helgoland, der Gedanke an alle KuSis, die ich jetzt schon in mein Herz geschlossen habe, der Ausblick auf die Ereignisse, die ich auf diesem Abenteuer noch erleben könnte. Für mich ist eine Sache klar. Ich arbeite an meinem Fuß und ich komme wieder!
Als ich mit meiner brandneuen Schiene aus dem RTW steige traue ich meine Augen kaum. 50 rote Jacken lächeln mir zu, wünschen mir gute Besserung und verstärken den Wunsch des Zurückkommens immens. Nach einer vierstündigen Fahrt mit dem Katamaran schließe ich meine Familie wieder in die Arme. Auf der Fahrt von Hamburg nach Köln schlafe ich viel, denn mein Körper sehnt sich nach Entspannung.
Köln: 25.10.2020 – 9.12.2020
Nach meinem wortwörtlichen Abbruch der KuS-Reise, verbringe ich sehr viel Zeit in Kliniken, wo von vielen Ärzten mein Fuß untersucht wird. Nach einer MRT-Untersuchung stellt sich heraus, dass ich wirklich den Sechser im Lotto gezogen habe. Neben der Fraktur, die in Helgoland festgestellt wurde, habe ich mir noch vier weitere Brüche geholt. Die Verletzung ist zwar sehr ungewöhnlich und spricht für eine wahrscheinlich geringe Knochendichte, allerdings ist die gute Nachricht bei der Sache, dass ich nicht operiert werden muss, da die fünf Brüche ziemlich gut stehen. Auch mein Arzt lässt meine Hoffnung auf ein Wiedersehen mit allen steigen, da er mir versichert, dass die Klink mich wieder hinkriegt. Um möglichst schnell wieder den Fahrtwind in meinen Haaren spüren zu können, muss ich natürlich viel Zeit bei der Physiotherapie verbringen. Neben drei Mal Magnetfeldtherapie pro Woche, trete ich fünf Mal in der Woche über die Türschwelle zur Physiopraxis. Zwei Wochen nach der Verletzung tue ich dies sogar ohne Krücken, jedoch mit Hilfe eines Aircast-Walkers. Auch die Eltern der Schüler haben meinen Wunsch durch ihre netten Nachrichten und Aufmerksamkeiten nie erlischen lassen und haben sogar dafür gesorgt, dass die Langeweile zuhause möglichst gering bleibt.
Da war sie. Die Nachricht, auf die ich die ganze Zeit hingearbeitet habe. Es gibt ein Zeitfenster, in welchem eine Rückkehr auf die Thor perfekt wäre. Mein Flug auf die Kanarischen Inseln ist gebucht und der Rückkehr steht nichts mehr im Weg. Das Okay vom Arzt und meinem Physio habe ich mir auch abgeholt und mich mit dem Versprechen verabschiedet, keinen Unsinn mehr zu machen. Wassertropfen kühlen meine Haut, den Blick auf die aufgehende Sonne gerichtet und der sanfte Fahrtwind in meinen Haaren. Alles Gedanken, die bald wieder wahr werden können. Ein letztes Drücken, ein letztes Winken, dann steige ich in den Flieger Richtung Teneriffa.
Los Cristianos: 9.12.2020
Neuanfang… Schon von Weitem sehe ich die Masten der Thor und ein Lächeln stiehlt sich auf meine Lippen. Majestätisch liegt sie da vor Anker und lässt alles im Umkreis klein erscheinen. In meinem Kopf macht sich ein Gedanke breit: Das Abenteuer geht weiter!
Santa Cruz de Tenerife: 10.12.2020 – 14.12.2020
Während die Schüler ihre Zeit in der Finka el Rincón verbringen, bin ich mit dem Segelstamm endlich wieder auf der Thor. Um die Hygieneabnahme zu bestehen und den Schülerinnen und Schülern ein möglichst sauberes Schiff zu bieten, putzen wir was das Zeug hält und bringen das gesamte Schiff wieder auf Vordermann. Sobald ich daran denke, dass ich schon in ein paar Tagen meine Freunde wiedersehen kann, merke ich, dass meine Vorfreude ins Unermessliche steigt.
Santa Cruz de Tenerife: 15.12.2020
Heute ist es soweit! Ich kann es gar nicht erwarten alle wiederzusehen und wünsche mir, dass sie jetzt schon an der Pier stehen. Und dann höre ich es: „Hannnooooo“…
Ich kann es kaum erwarten zu erfahren, wie es den anderen ergangen ist. Bei der herzlichen Begrüßung verschwindet das Lächeln nicht aus meinem Gesicht und ich male mir schon die nächsten Wochen und Monate aus. Bis in die Nacht reden wir alle zusammen.
In meiner Koje schließe ich die Augen, denke an den Tag und freue mich darüber wieder mit meinen Freunden vereint zu sein. Noch einmal mehr als sonst merke ich: Das Abenteuer geht weiter. Und zwar gemeinsam!