Durchquerung mit Strapazen
Datum: 21.10.2020
Mittagsposition: 54° 16‘ N, 10° 12‘ E
Etmal: 5 sm
Wetter: Lufttemperatur: 12° C, Wassertemperatur: 12°C, Wind: SSW 1-2
Zwei Tage fahren wir nun schon in der Kieler Bucht herum. Vom Liegeplatz der Thor Heyerdahl zur Heikendorfer Bucht und wieder zurück, um ein Ersatzteil an Bord zu nehmen, und jetzt diese Ansage. Geplant war am Mittwochnachmittag durch den NOK (Nord-Ostsee-Kanal) zu fahren und dann in Brunsbüttel festzumachen. Doch das klappt jetzt wohl doch nicht, wie es scheint. Unser Kapitän Detlef schildert uns nach dem Frühstück die Lage: Ein gewaltiges Sturmtief, welches uns bis zu 9 Windstärken Beaufort (das entspricht ca. 80 km/h) bescheren würde, hängt über Irland. Dass so etwas ungemütlich wäre, brauche ich wohl niemandem zu erklären.
Es ist jedoch nicht der fehlende Komfort, der uns in der Heikendorfer Bucht hält, sondern der Fakt, dass das Tief den Wind aus Süd-West mitbringt, also genau aus der Richtung, in die wir wollen. Im Prinzip ja kein Problem, würde man denken, dann motoren wir eben gegen den Wind an.
Leichter gesagt als getan: Unsere liebe Olga, die Hauptmaschine der Thor, kommt gegen solche Kräfte nur langsam bis gar nicht voran. Wir würden also nur Diesel verbrennen, ohne wirklich großen Nutzen.
Es ist also beschlossene Sache, wir bleiben noch eine Nacht auf „unserer“ Seite des Nord-Ostsee-Kanals. Alle sind natürlich ein wenig enttäuscht, allerdings bleibt dafür gar keine Zeit, denn der Plan ist, unter Segeln in die Strander Bucht zu fahren.
Beinahe die gesamte Crew wird benötigt, um die Gaffelsegel, die Rahsegel und die Baumfock, also insgesamt 7 große Segel, zu setzen.
Der Anker wird gehievt (hochgeholt) und los geht es. Für unser erstes richtiges Manöver klappt alles schon ziemlich gut. Unter der Anweisung des Stammes gewinnt die Thor langsam an Fahrt.
Jetzt erst mal Mittagessen. Es gibt Curry mit Reis. Und gerade als alle, fröhlich über das geglückte Manöver, anfangen das Besteck zu schwingen, kommt der Kapitän wieder. Wie schon zuvor befürchtet, kommt der Wind zu weit von Achtern (hinten). Es muss eine Halse gefahren werden. Signal K ertönt, ein „All Hands an Deck“-Signal, bei dem alles stehen und liegen gelassen wird und die gesamte Crew mit Ölzeug und Klettergurten so schnell es geht an Deck kommen muss. Da wir Jugendlichen die Halse zum Teil noch nicht einmal kennen, geschweige denn beherrschen, hat der Stamm das volle Kommando. Im schnellen Akkord werden Leinen dicht geholt (gezogen) und aufgefiert (kontrolliert losgelassen). Alles ist hektisch und in erster Linie werden die Anweisungen der Wachführer befolgt. Mit klaren Kommandos von Detlef fährt die Thor die Halse und gelangt sicher in die Strander Bucht, wo wir vor Anker gehen.
Jetzt wird endlich gegessen! Wer jetzt denkt, das Essen würde einen Schlussstrich hinter die Arbeit ziehen, liegt jedoch weit daneben. Die Segel, welche vor dem Essen geborgen (runtergeholt) wurden, müssen jetzt gepackt, also ordentlich und fest zusammengeschnürt werden. Gegen Abend fallen alle erschöpft in ihre Kojen. Naja, fast alle. Die Backschaft, also die, die gekocht haben, müssen noch die Küche putzen. Ich glaube, in dieser Nacht hat jeder trotz des leichten Seegangs seinen wohlverdienten Schlaf bekommen.
Wie schon am vorigen Abend angesagt, ist um halb sechs Uhr allgemeines Wecken. Es bleibt gerade genug Zeit, Zähne zu putzen und das Ölzeug überzuwerfen, dann ertönt schon wieder Signal K. Der Anker wird erneut gehievt und unter Motor fahren wir nun endlich auf die Schleuse zu. An der Pier in der Schleuse warten die Schleusenarbeiter schon und werfen uns Wurfleinen zu, an denen wir unsere dicken und unhandlichen Trossen (sehr dicke Kunststoffleinen zum Festmachen des Schiffes an der Pier) befestigen. Die Arbeiter ziehen die Trossen zu sich rüber und wenige geübte Handgriffe später ist unser liebes Segelschiff auch schon festgemacht.
Und dann geht es los! Ein Schleusentor öffnet, das andere schließt sich und es strömt Wasser in die Schleuse. Langsam und fast schon majestätisch hebt sich die Thor, bis wir schließlich auf gleicher Höhe mit dem NOK sind. Jetzt stehen die ersten Fahrwachen an. Das heißt, dass immer eine Gruppe von Stammbesatzung und Schülerinnen und Schülern für das Fahren des Schiffes verantwortlich ist. Zwei Ausgucke, ein Rudergänger und eine Person, die markante Landmarken, die wir passieren, ins Bordbuch einträgt, werden ausgewählt.
Auf der einen Seite ist der Kanal ein gutes Fahrwasser für Anfänger am Ruder, da so gut wie keine Dünung, also Wellen, vorhanden sind, auf der anderen Seite ist der Kanal an den Seiten begrenzt, weshalb man sich keine großen Fehler erlauben darf. Auch hier greift uns die Stammbesatzung unter die Arme und so erreichen wir, fast schon flankiert von fotografierenden Fußgängern, heil Brunsbüttel. Mit dem Rescue-Boot werden ausgewählte Schülerinnen und Schüler auf die Dalben (große metallene Pfeiler im Wasser) gefahren, wo wir dann die Trossen festmachen und somit das erste kleine Abenteuer unserer Reise, die Durchquerung des NOK, erfolgreich abschließen. Doch wo Max ist, ist Moritz nicht weit. Sogar der Stamm fühlt die Aufregung, denn morgen werden wir unseren Kiel das erste Mal in die offene See tauchen. Die Nordsee wartet schon auf uns!