Wir feiern zusammen das Osterfest

Wir sind allein. Mitten auf dem Nordatlantik fährt ein Schiff mit 49 Menschen darauf, doch um sie herum sind für Meilen nur Wellen, Wasser und Weite. Geht man in ihren Navigationsraum, sieht man auf der Anzeige kein anderes Schiff, was ihnen dort hätte begegnen können. Aber heute sind wir Teil eines größeren Miteinanders, denn heute feiert man auch auf diesem kleinen schwankenden Schiff so weit draußen das Osterfest.

Man hat schon früh gemerkt, dass heute etwas Besonderes sein musste. Bereits in den Tagen zuvor hatten die Menschen auf eben jenem Schiff begonnen, Komitees zusammenzustellen, die besprachen, was es zum Essen geben solle oder wie die Messe zu dekorieren sei. In der Bibliothek wurde in Büchern gekramt und ein paar Akkorde auf der Gitarre angestimmt, in der Kombüse wurden schon am Vorabend Teigkringel gebacken und vorne im PK (das Zuhause eines Großteils der Erwachsenen) waren noch an Land Schokoosterhasen eingestaut worden. Deutlich im Geheimeren wurden aber auch Rätsel verfasst und Tüten mit Süßem vorbereitet, um sie in den verwinkeltesten Ecken dieses Schiffes (man muss dazu sagen, dass die Thor davon unzählige hat) zu verstecken. So viele Gespräche über das, was noch zu tun sei, so viele Klänge und Gerüchte, so viel Glück und Farbe wehten durch die Gänge und Kammern und erfüllten das ganze Schiff, dass man die Vorfreude auf das Osterfest förmlich hätte greifen können. Und als der Morgen hereinbrach, begann ein Treiben, wie man es an Bord sehr selten gesehen hatte. Schon zum Frühstück sah die Messe bunt und schön dekoriert aus und in den Gängen begrüßten sich sehr viele, den Schlaf noch halb in den Augen, mit einer festen Umarmung und einem freudigen: “Frohe Ostern“. Auch in der Kombüse war etwas anders: Unser Bootsmann Simon, der sonst um diese Uhrzeit schon im Rigg zu klettern pflegt, war heute der Chefkoch, zuständig für den Festbraten. Sein scharfes Auge wachte über aller Arbeit, die das köstliche Menu des Abends betraf. Gut besucht war die Kombüse außerdem. Hinter einer Dose Curry war einer der Hinweise zur Lösung des ersten Osterrätsels, die über das ganze Schiff verteilt waren. Wie von einem Fieber gepackt jagten die Crewmitglieder über Deck und durchs Mittelschiff, immer mit den Worten des letzten Hinweises murmelnd auf den Lippen und immer auf Ausschau nach dem nächsten Rätsel, dass es zu knacken galt. An der Flaggleine hing das eine, zwischen den Böden am Großmast war das andere. Mit Taschenlampen bewaffnet wurden auch die heißbegehrten Osternester gesucht, denn für jedes Besatzungsmitglied war eines mit dem eigenen Namen versehen worden. Das ganze Schiff wurde auf den Kopf gestellt, selbst die hintersten Ecken, in die sich zumeist niemand wagte, wurden auf Spuren des Osterhasen geprüft. Wenn die Thor einen Klabautermann hat, so hatte dieser vermutlich noch nie zuvor so viel Fantasie aufwenden müssen, um sich ein sicheres Versteck zu suchen.

Doch das Rascheln und Treiben, die ganze Aufregung und die Hektik waren mit einem Mal verflogen, als die große Messingglocke zur Andacht in die Messe rief. Viele waren gekommen, um die Gedanken zurück zu dem eigentlichen Fest, was heute gefeiert wurde, dem Fest der Auferstehung, kehren zu lassen. Man las aus einer großen schwarzen Bibel über das, was erst Maria von Magdala und bald darauf den Jüngern offenbart wurde. Es wurde gesungen von der Liebe, die uns allen damit zu Teil wurde, und gesprochen über das, was wir oft so schwer zu begreifen vermögen. Und dann war es still. Für einen kurzen Moment war die Welt verstummt, selbst die Wellen und der Wind hielten nach einem letzten tiefen Seufzer kurz inne, um dieser Ruhe zu lauschen, einer Ruhe, die man nur zu selten auf einem Schiff weit draußen auf einem Ozean erfährt. Doch der Wind blies weiter und die Wellen begannen wieder mit ihren leichten Schlägen die Bordwand zu erschüttern. Und auch dem Treiben tat nichts einen Abriss, denn das große Festtagsessen stand weiterhin noch bevor. Und der Abend kam mit Schwung und guter Laune, mit köstlichen Speisen und Getränken, mit Lachen und Scherzen und einem wohligen Beisammensein in der feierlich geschmückten Messe. Simon hatte einen fürstlichen Braten gezaubert, der seines Gleichen suchte, und auch für die Vegetarier war bestens gesorgt worden. Man redete über die gefundenen Verstecke und gelösten Rätsel, denn noch Einiges war nicht aufgeklärt worden. Doch wie jeder Festtag ging auch dieser vorbei, und das Lachen verhallte und die Dunkelheit umschloss uns vom Bug bis zum Heck.

Wir sind allein. Mitten auf dem Nordatlantik fährt ein Schiff mit 49 Menschen darauf, doch um sie herum ist für Meilen nur Wellen, Wasser und Weite. Geht man in unseren Navigationsraum, sieht man auf der Anzeige kein anderes Schiff, was uns dort hätte begegnen können. Aber heute sind wir Teil eines größeren Miteinanders, denn heute feiert man auch auf dieser kleinen schwankenden Thor so weit draußen das Osterfest.

KUS-Ticker

Sonntag, 04.04.2021

Mittagsposition: 48º06,0‘ N 22º15,9‘ W
Etmal: 103 sm
Wetter: Lufttemperatur: 11ºC Wassertemperatur: 13ºC

  • 00:00 – 24:00: Wachbetrieb in vollbesetzten Wachen, Ostereiersuche
  • 10:00: Osterandacht
  • 16:30: Vortrag von Steuermann Michael über seine Reisen auf der „Eye of the Wind“ und der „Avontuur“
  • 18:00: Festliches Abendessen