Unser Rigg

Mein eindeutiger Lieblingsplatz auf der Thor, den ich leider viel zu selten besuche, ist das Rigg. Warum? Ganz einfach: Man hat Ruhe, man ist alleine, es schaukelt und windet da oben viel mehr als unten an Bord und wenn einem zufälligerweise langweilig ist, gibt es immer coole Arbeiten im Rigg, die verrichtet werden müssen. Noch einmal zusammengefasst: Man hat das volle Paket: Action, Ruhe und Privatsphäre zugleich. Super kurz gesagt: Es ist einfach geil.

Lasst uns eine Reise zu diesem Ort machen. Also, alles fängt unter Deck im Gang an. Heute haben wir ganz guten Wellengang, heißt, uns ist leicht schummrig wegen der Seekrankheit, wir werden von den Wellen im Gang hin und her geschoben. Es ist stickig und man kann das tiefe Eintauchen des Buges in die 3-4 Meter hohen Wellen hören. Wrooouusschhhh. 21,22,23 Wruuuooosch 21,22,23 Wrooouschh… Wir nehmen unseren Gurt vom Haken und schwanken in Gummistiefeln, warmer Jogginghose, darüber einer Ölhose, dickem Pulli und einer Windstopper Jacke durch den Gang in Richtung Messe. Auf dem Weg dorthin müssen wir einmal den knarzendem Mast umgehen. Wir halten uns an ihm fest und schwingen uns halbwegs elegant, eher etwas verzweifelt an ihm vorbei. In der Messe angekommen liegt ein letztes Hindernis vor uns, das uns von der frischen Luft, dem Meer und dem Rigg trennt. Der Messe Niedergang – eine extrem steile Treppe mit 14 Stufen, würde man als Landratte, glaube ich, sagen. Aber, wenn wir ins Rigg wollen, bleibt uns nichts anderes übrig, also steigen wir stöhnend, ächzend und schwer schnaufend diese 14 Treppenstufen auf. Wir schieben uns aus der kleinen Tür nach draußen, frische Luft umfängt uns. Netterweise scheint die Sonne. Der Wind bläst uns die Haare ins Gesicht, Wellen rauschen über das Deck. Der Weg führt uns erst einmal auf das Achterdeck, denn wir müssen uns, bevor wir ins Rigg gehen, erst einmal bei der Fahrwache anmelden, auf welchen Mast wir gehen und den Gurt von dem Wachführer kontrollieren lassen. Nun haben wir 4 Optionen: Entweder wir gehen auf den Besan Mast, den Groß Mast, auf den Schoner Mast, oder auf den Klüverbaum.

Option 1: Besan
Der Besan ist, wie ich finde, der umständlichste Mast von allen. Aber nun gut. Wir steigen also einmal direkt vom Achterdeck auf die dortige Reling. Davor natürlich nicht zu vergessen: Sichern. Beide Karabiner in den Sicherungstampen einklinken. Dann kann es richtig los gehen. Wir hängen jetzt über der Reling in den sogenannten Wandten. Unter uns geht es jetzt schon ca. 3m runter bis zu den schäumenden Wellen, die an uns vorbeifließen. Die Seekrankheit ist von dem Adrenalinkick mittlerweile schon komplett verflogen. Der Aufstieg geht fließend bis zur Saling. Zwei, drei Mal die Sicherheitskarabiner umhängen und wir stehen unter der Saling. Auf ca. 15m Höhe. Der Wind und das Schaukeln haben schon deutlich zugenommen. Jetzt kommt der unangenehmste Teil, wir wollen noch höher, aber da die Saling mit unserem Radar und dem gepackten Besan-Top Segel etwas verbaut ist, müssen wir einen 45° Winkel im Überhang klettern, bis wir auf die Balken der Saling steigen können. Der Blick nach hinten: strahlendes dunkelblau. Auf den meisten Wellen tanzen die Schaumkronen und immer wieder fliegt ein Teil von ihnen mit ein paar Spritzern Wasser, vom Wind getrieben, über das nicht endende Blau. Noch einmal umklinken und auf geht es, die letzten 10m auf die Mastspitze. Dort empfängt uns, kein eisiger, aber ein deutlich kälterer und stärkerer Wind als unten. Das Gefühl oben auf dem Mast kann man nicht wirklich gut beschreiben. Es ist ein Gefühls-Mischmasch aus: Freiheit, Aufregung, Angst, Sicherheit, Glück und Unwirklichkeit.

Option 2: Groß
Der Großmast. Tatsächlich ist der Großmast der größte, also der höchste Mast auf der Thor Heyderdahl. Wir stehen also wieder auf dem Achterdeck und haben uns gerade den Gurt abnehmen lassen. Jetzt werden Ölhose und Gummistiefel wichtig. Wir müssen nämlich einmal das Hauptdeck überqueren und das ist von Wellen überströmt. Die Wellen umspülen unsere Gummistiefel sicher 30 cm hoch, als sie uns treffen. Trocken am Deckshaus angekommen, können wir in die Wandten steigen. Nun hängen wir Außenbords und klettern Webeleine für Webeleine auf den Großmast. Vorbei an dem gesetzten Großsegel. Der Wind heult jedes Mal aufs Neue auf, wenn er in das Segel bläht und somit das Schiff antreibt. Die Saling ist groß genug, damit wir durch die Lücke passen und schon stehen wir neben dem aufgeblähten Großtop-Segel. Majestätisch steht es in voller Größe über dem ganzen Schiff. Die letzten 10-15 Meter und wir stehen an der Spitze. Ganz oben. An der höchsten Stelle des Schiffes. Ein Blick nach unten: Man sieht die Thor von oben aus einer ganz anderen Perspektive als sonst. Ein knallrotes Deck, auf dem die Crew wie kleine Spielzeugfiguren in Ölzeug herumwuseln. Plötzlich merken wir, wie die Haare uns in eine Richtung ins Gesicht blasen und das Großsegel etwas zu schlackern anfängt. Der Wind hat etwas gedreht. Sofort strömen ein paar KUSis vom Achterdeck an die passenden Tampen, um das Segel etwas dichter zu holen. Diese kleinen Gestalten ziehen an diesen Zahnstocher dünnen Tampen und schon setzt sich das schwere Großsegel in Bewegung. Ächzend und knarzend wandern Baum, Gaffel und somit das ganze Segel ein Stück weiter in Richtung Mittschiffs. Von oben betrachtet ein sehr seltsamer Anblick, wie diese kleinen Figuren, ein so großes Etwas bewegen können. Ein letzter Blick rundum, in das strahlende, blaue Nichts und man bemerkt, dass wir der einzige Fleck rot in diesem unendlichen Blau sind.

Option 3: Schoner
Der Schoner Mast ist unser vorderster Mast und wie ich finde, der coolste von den dreien, denn an ihm hängen die drei Rah-Segel Bram, Mars und Breitfock, aber auch die vier Vorsegel und das Schoner Segel. Wir stehen wieder hinten auf dem Achterdeck, unser Gurt wurde schon kontrolliert und machen uns nun auf den Weg zum Schonermast. Über das Hauptdeck mit den Wellen, am Deckshaus vorbei, vor die Ladeluke und ab in die Wandten. Nun kommt ein kleiner unangenehmer Augenblick, denn ein paar Meter unter der Saling endet die Lüftung unseres Abwassertanks und der Geruch, der aus diesem strömt, ist nicht ganz so appetitlich. Diese Stelle ist aber schnell überwunden und diesmal passen wir ohne Probleme durch die Saling, da diese die größte ist. Neben uns liegt das gepackte Großstengestagsegel und unter uns das aufgeblähte Schonersegel und die gesetzte Breitfock. Einmal umgeklinkt und ab nach oben, vorbei an der Mars, zur Bram. An der Bram angekommen klinken wir unsere Karabiner einmal um, in die Sicherungsleine der Bram und steigen auf das Fußpferd. Wir merken, wie das Schaukeln mit jedem Schritt, den wir seitwärts machen, um an die Knock zu kommen, zunimmt. Schritt für Schritt, umklinken, weiter… An der Nock senkt und hebt sich das Schiff mehr als irgendwo sonst. Der Blick über den runden Bauch der Bram ist unglaublich, vor uns erstreckt sich, wie überall sonst, das weite Meer und unter uns strecken sich die Klüversegel im Wind.

Option 4: Klüverbaum
Der Klüverbaum ragt über den Bug der Thor hinaus. Ich würde sagen, das ist wirklich einer der coolsten Orte auf dem Schiff bei Seegang. Zurück auf dem Achterdeck. Wir stiefeln über das mit Wasser bedeckte Hauptdeck, am Deckshaus und der Ladeluke vorbei und vor dem Schonermast auf die Back. Vorne drängen wir uns an der Baumfock und dem Ankerkasten vorbei und klinken uns in die Sicherheitsleinen des Klüverbaums ein. Etwas wackelig steigen wir in das Klüvernetz auf die Stagen. Unter uns taucht das Schiff immer wieder in die Wellen ein. Die Anker verschwinden unter Wasser und tauchen wieder auf, wir sehen wie das Schiff das Wasser teilt und zur Seite schiebt. Wie das Wasser nur so zu den Seiten spritzt. Ab und zu trifft auch uns ein Salzwassertropfen. Als einer uns im Gesicht trifft, spüren wir wie kalt das Wasser ist. Aber das bekommt uns ganz recht, denn in unseren warmen Klamotten wird uns bei der Kletterei ziemlich warm. Nun klettern wir weiter, an den Klüversegeln vorbei bis an die Klüverbaumspitze. Dort halten wir uns an dem Stag vom nicht gesetzten Flieger, also dem Stahldraht, an dem der Flieger hochgezogen werden würde, fest. Wenn wir uns hier noch einmal zurückdrehen, haben wir einen ganz besonderen Blick auf die Thor, nämlich von vorne. Wir sehen jedes einzelne Segel aufgebläht vor uns und wie die Thor über die Wellen stampft. Mit diesem Blick in Erinnerung drehen wir uns wieder nach vorne, dem offenen Ozean entgegen. Es fühlt sich so an wie in den Piratenfilmen, bei denen die Piraten in einer imposanten Pose ihre Säbel nach vorne ausstrecken, wenn das Schiff in See sticht. Man fühlt sich stark, unbesiegbar und frei.

KUS-Ticker

Samstag, der 02.04.2022

Der gesamte Samstag wurde wegen zu starkem Wellengang und darauffolgender Seekrankheit auf Montag verschoben, ansonsten normaler Wachbetrieb.

Sonntag, der 03.04.2022

  • Wachbetrieb
  • 11:00 Uhr: Marssegel reißt
  • 14:00 Uhr: Referat Radar und Sonar
  • 14:30 Uhr: Marssegel wird abgeschlagen