Manchmal werden Träume wahr

Es geht los und ich kann es noch immer noch kaum fassen. Die Sonne scheint auf mein Gesicht, überall schweben Seifenblasen und die Pier ist voller Menschen. Irgendwo in dieser Menschenmasse ist auch meine Familie aber die Thor ist mittlerweile schon so weit aus dem Hafen ausgelaufen, dass ich sie nicht mehr von den anderen Menschen unterscheiden kann.

Meine Gefühle sind gemischt. Diese Reise scheint noch immer nicht viel realer zu sein, als sie es war, als ich meine Bewerbung geschrieben habe, trotzdem hat sie jetzt schon begonnen. Die Zeit nach dem Probetörn ist so schnell vorüber gegangen. Zwischen dem Zusammensuchen und dem Packen all meiner Sachen und dem Unterschreiben unzähliger Dokumente blieb kaum Zeit, es wirklich zu begreifen. Es scheint in meinem Kopf noch immer nicht angekommen zu sein, dass ich alle meine Freunde und Verwandten für die nächsten 188 Tage nicht mehr sehen werde.

Natürlich bin ich traurig, aber die Traurigkeit wird von unglaublicher Freude überschattet. Endlich geht es los! In den letzten Wochen und Monaten war ich in meinem Kopf schon die ganze Zeit auf dem Meer, aber jetzt wo es wirklich so weit ist und ich den Wind in meinen Haaren spüren und das Salz auf meiner Zunge schmecken kann, erscheint mir die ganze Szenerie sehr unwirklich und mehr wie aus einem Traum als ein realer Moment.

Die Pier ist jetzt kaum noch zu sehen. Ich versuche die letzten Menschen noch zu erkennen und mir einzubilden, dass ich meine Familie noch sehen könnte, als jemand aus der Stammbesatzung mir etwas zu ruft, aber ich verstehe nur jedes zweite Wort. Diese Sprache, die nur Segler beherrschen, werden wir im Laufe der Reise noch lernen. Auch die Funktion des Tampens (alle Seile auf einem Schiff werden Tampen genannt), den ich jetzt von jemandem in die Hand gedrückt bekommen habe und wann ich diesen holen (an dem Tampen ziehen) oder fieren (den Tampen langsam länger werden lassen) soll, werde ich mit der Zeit verstehen. Momentan ist es für mich aber noch mehr wie eine Fremdsprache, der ich zwar fasziniert zuhöre, die ich aber nicht verstehen kann.

Mittlerweile ist die ganze Pier nicht mehr zu sehen und ich wende meinen Blick ab und schaue nach vorne. Zu sehen ist nur das Meer und am Horizont die deutsche Küste. In diesem Moment weiß ich noch nicht, dass in wenigen Stunden der Wind stärker werden und die Seekrankheit beginnen wird. Ich weiß noch nicht, dass ich am nächsten Tag das erste Mal im Rigg (oben auf dem Mast) sein und zum ersten Mal am Steuer stehen werde. Ich weiß nur, dass mir das größte Abenteuer meines Lebens bevorsteht und dass es heute begonnen hat.

KUS-Ticker

Sonntag, der 16.10.2022

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