Freunde der Sonne

Nach Tagen mit Seekrankheit und bewölktem Himmel sind wir heute mit „Die Sonne scheint!“ geweckt worden. Und tatsächlich, der Weckdienst hatte nicht übertrieben. Meine erste Handlung während der Wache war, die Ölzeugjacke und Mütze auszuziehen. Im Ausguck zu stehen ist bei diesem Wetter die allerschönste Aufgabe. Der frische Wind bläst die Müdigkeit und trübe Stimmung aus den letzten Winkeln des Körpers. Die vergangenen Tage wurde die Thor wegen des starken Seegangs im Verschlusszustand gehalten, das heißt alle Oberlichter und Schlagklappen der Kammern und auch die Schotts am Deckshaus waren geschlossen. Heute haben wir nach und nach die Abdeckungen abgenommen und frische Luft und Sonne konnte unter Deck strömen. Zurück im Ausguck strahlt und scheint die Sonne, als würde sie versuchen, die ganzen bewölkten Stunden der letzten Tage wieder gut zu machen. Ich spüre, wie meine Laune mit jeder Minute, die ich mein Gesicht in die Sonne halte, steigt und ich viel mehr Energie habe. Nach und nach tauchen auch immer mehr Seekranke aus ihren Kojen auf dem Deck auf, um neue Kraft zu tanken. Immer noch im Ausguck schaue ich den wogenden Wellen zu und wie das Schiff von einem Wellenberg zum nächsten getragen wird. Möwen begleiten uns mit kräftigen Flügelschlägen und scheinen die Kraft der Sonne ebenso zu genießen wie wir.

Um kurz vor 12 Uhr erklären uns Svenja und Paula das Ritual des Glasens: Um Punkt 12 Uhr wird als erstes vom Navigationsraum aus mit der Schiffsklingel geklingelt, dann das Typhon ausgelöst, das wie ein lautes, tiefes Tuten klingt und danach die Glocke auf dem Vordeck mit vier Doppelschlägen geläutet. Einerseits testet man damit das Typhon, mit dem man sonst mit anderen Schiffen in Kontakt treten kann, andererseits ist es ein Überbleibsel aus früheren Zeiten, denn zum Wachwechsel wurde immer die Glocke geläutet. Ein weiteres Highlight ist das Mittagessen, das die Backschaft trotz starkem Seegang und Seekrankheit für alle zubereitet hat. Meine Wache macht es sich mit Currywurst oder Falafel-Bratlingen und Kartoffelspalten auf dem Achterdeck gemütlich. Zusammen mit den Brezeln, die es heute Morgen zum Frühstück gab, kommt echtes Heimatgefühl auf.

Wir haben uns den Tag über immer weiter der spanischen Küste genähert, was man auch an den steigenden Temperaturen gemerkt hat. Die dicken Öljacken sind im warmen Sonnenschein vielen T-Shirts und teilweise auch kurzen Hosen gewichen und man muss zweimal nachdenken, um sich bewusst zu machen, dass es ja eigentlich November ist.

KUS-Ticker

Sonntag, 06.11.2022

Mittagsposition: 45°14,0’N; 005°52,9’W
Etmal: 115 sm
Wetter: sonnig; Temperatur: Luft 16°C, Wasser 16,5°; Wind: WSW 7

• 12:00 Uhr Glasen
• Regulärer Wachbetrieb über den Tag hinweg