Chroniken der Bibliothek

Es ist noch dunkel, gerade mal 5 Uhr, als sich quietschende Gummistiefelschritte nähern. Tap, tap, tap. Die Bibliothek, von der Crew liebevoll Bib genannt, merkt erfreut auf. So früh und schon beginnt ein neuer Tag! Jetzt aber schnell! Knarzend streckt sie ihre hölzernen Glieder, schüttelt die raschelnden Blätter und streicht ihr Polsterkleid zurecht. Die Tür öffnet sich lautlos und ein Schüler schlurft im Halbdunkeln in die Bibliothek. Gähnend lässt er sich auf das weiche Sitzkissen plumpsen. Die morgendliche Stille umarmt ihn wie einen altbekannten Freund. „Oh Mann!“, grummelt der hochgewachsene Junge und zieht einen Stapel zerknickter Blätter aus seiner Hosentasche, „Jetzt muss ich auch noch mein Referat für heute Mittag vorbereiten, dabei hatte ich doch bis eben noch Wache.“ Erneutes Gähnen. Die Bib nickt verständnisvoll. Ja, das kennt sie bereits. Spontane Referatsvorbereitungen, und das um diese Zeit! 20 Minuten kratzt der Bleistift über das Papier, dann beschließt der Junge wohl, dass dies reichen müsse, und verschwindet wieder aus dem mittlerweile gut geheizten Raum.

Nach etwa zwei Stunden meditativer Ruhe, in denen die Bib etwas dem Rauschen des Meeres lauschte und mit dem Schiff gemächlich hin- und herwankte, beginnt leises Murmeln. Die ersten Schüler sind erwacht und eilen nun durch den Gang. Zwei Mädchen öffnen die Tür und ein frischer Windhauch streicht angenehm durch den Raum und kitzelt die Bib an der Nase. Die Mädchen setzen sich leise auf die Sitzbank, jeweils bewaffnet mit einem Buch. Zufrieden lächelt die Bib. Ja, so sollte es sein! Stolz beobachtet sie, wie die beiden in anderen Welten versinken, lauscht dem Geräusch der raschelnden Seiten. Die beiden verschwinden zum Frühstück und schon bald taucht eine neue Gruppe auf. Schwatzend breiten sie ihr Zeichenmaterial auf dem Holztisch aus; sie sind der Bib schon bekannt. Etwa einmal die Woche verbringt die Kunstgruppe zwei Schulstunden hier und arbeitet eifrig an ihren Kunstwerken.

In der Mittagspause geht es weiter. Ganze fünf Schüler trudeln nach und nach ein und packen ihre Tagebücher aus. Doch anstatt darin zu schreiben, beginnen sie zu plaudern. Wieder nichts Neues. War die Bib zu Beginn über dieses Verhalten verwundert gewesen – Ist das nicht ein Ort der Ruhe, der Konzentration? – so hatte sie sich schnell daran gewöhnt. Nach ganzen vier Monaten kann sie nun folgende interessante Statistik aufstellen: Die Produktivitätsrate der Schüler scheint pro anwesende Person um ganze 50 Prozent zu sinken. So kommen die Menschen mit festen Vorsätzen in die Bibliothek und sind doch jedes Mal aufs Neue in sinnfreie Gespräche verwickelt, an denen sie sich jedoch nicht zu stören scheinen. Ach ja: Was tun unsere fleißigen Tagebuchschreiber eigentlich gerade? Essen. Missmutig zieht die Bib eine Schnute, als sie die aufgerissene Kekspackung auf dem Tisch sieht.

Gegen Nachmittag wird der Ansturm auf den Raum noch größer. Gehetzt packen die Schüler ihre Ordner aus. „Och nö! Morgen ist Geo. Ich hab‘ doch noch gar nichts gelernt!“, rufen die einen. Ein Atlas wird aus dem Regalfach gewuchtet. „Egal. Ich lese lieber“, sagen die anderen. Das Buch der Bücher, das Ausleihbuch der Bib, das bereits die Ausleihen vieler Jahrgänge umfasst, folgt. Allgemein ist die Auswahl, die die Bib stolz zu bieten hat, groß. Da gibt es den Freiarbeitsordner, Romane, die die Schüler im Herbst mit an Bord gebracht haben und in denen die Bib gerne in ihren Pausen schmökert, Bücher über Länder, Personen, Segeltechniken, einfach alles.

Abends beginnt schließlich die Vorleserunde. Dicht aneinander gekuschelt lauschen schläfrige Schüler gebannt ihrem Kapitän, der mit ruhiger Stimme aus einem dicken Wälzer vorliest. Eine Runde, die der Bib in den letzten Monaten besonders ans Herz gewachsen ist.

Als gegen 22:30 Uhr das Gemurmel langsam leiser und das letzte Licht ausgeschaltet wird, liegt alles im Dunkeln. Ruhe kehrt ein und legt sich wie ein deckender Mantel auf das Schiff. Glücklich kuschelt sich die Bib in ihre blauen Polster, streicht ein letztes Mal über ihre geliebten Bücher und schließt langsam die Augen, gespannt, was der neue Tag wohl bringen mag …

KUS-Ticker

Freitag, 03.03.2023

Mittagsposition: 31°39,1’N; 059°33,0’W
Etmal: 149,8 sm
Wetter: bewölkt; Temperatur: Luft 21,5°C, Wasser 21°C; Wind: SW 4

  • 09:30 Uhr Verschlusszustand
  • 13:15 Uhr Vortrag zum Thema Deutscher Kolonialismus von Lia
  • 13:45 Uhr Projektetreffen
  • 17:15 Uhr Durchgang der Front
  • 18:30 Uhr Beginn des Live-„Werwolf“-Spiels
  • 19:10 Uhr Halse

Samstag, 04.03.2023

Mittagsposition: 30°52,2’N; 057°15,5’W
Etmal: 119 sm
Wetter: sonnig; Temperatur: Luft 21,5°C, Wasser 20°C; Wind: W 4

  • 13:00 Uhr Großreinschiff, Lost & Found-Versteigerung
  • 15:00 Uhr Vortrag von Janne über die Tiefsee
  • 15:20 Uhr Besanschot an
  • 15:30 Uhr Schülerversammlung
  • 19:00 Uhr Filmabend