Reiseblog

Auf der Back

von Ole

Der Ozean. Bis zum Horizont nichts als Wasser. Ein Element mit unendlich vielen Gesichtern. Das Rauschen und Tosen, welches an mein Ohr dringt, wenn ich in der Messe sitze, die Wellen, die weiß und schäumend mit Wucht über das Vordeck brechen, das geheimnisvolle, unergründliche Blau oder Grau, welches sich bis weit über unser Blickfeld hinaus erstreckt. All das ist das Meer, Jahrhunderte alt und dennoch auf eine gewisse Art und Weise jeden Tag neu. Wenn ich über das Vordeck auf die Back* gehe, so kann ich sehen, wie der Stampfstock am Klüverbaum** seine namenstragende Funktion erfüllt. Über mir wölben sich weiß und majestätisch die Vorsegel, unter mir das schwankende Deck und dies alles umgebend die grau gurgelnden Wogen des Atlantiks. Die Thor wiegt sich in dem unermüdlichen Rhythmus der Dünung und stößt dabei unablässig voran. Bei jedem neuerlichen Wellental, in das die Thor mit dem Klüverbaum voraus hinab fährt, spritzt Wasser aus den Kettenkästen und läuft in seichten Bächen zwischen meinen Gummistiefeln hindurch. Immer wieder brechen sich Wellen am Bug und tauchen feinzerstoben die Back in einen salzigen Nebel, welcher gepaart mit der zaghaft durch die Wolkendecke blinzelnden Sonne kleine Regenbögen entstehen lässt.

Ich fühle mich in eine Zeit zurückversetzt, die zwar laut den Daten und der Jahreszahl noch nicht lange her ist, in meinem Gedächtnis jedoch unglaublich weit zurückzuliegen scheint. Vor reichlich drei Monaten sind wir das erste Mal richtig auf See gewesen. Aus dem Nordostsee-Kanal in Richtung Helgoland. Die grün-rote Insel in der Nordsee, über zehn Tage Liegeplatz der Thor. Der Junge, der während jener Überfahrt vor drei Monaten auf der Back stand ist auch der, der es nun wieder tut. Die Mannschaft, die damals das Schiff fuhr, tut es noch immer. Alles beim Alten?

Wir alle haben uns verändert und sind dennoch dieselben. Der Junge und die Mannschaft. Individuum und Crew. Jeder Einzelne von uns genauso wie wir als Gemeinschaft sind an unsere Grenzen gekommen und sind an-, miteinander und über uns hinausgewachsen. Alles Neue, was uns gerade in den ersten Tagen und Wochen begegnete, nahmen wir auf, lernten und wuchsen damit zusammen. Wir als Mannschaft haben uns zu einer Familie entwickelt und uns als Gruppe verändert. Als unerfahrene Crew, uns gegenseitig kaum bekannt, sind wir Ende Oktober letzten Jahres auf die Thor gekommen, sind zusammen Wache gegangen, haben zusammen gekocht, geputzt, gelebt. Das anfängliche Gefühl der Unsicherheit ist einem tiefen Vertrauen zwischen uns gewichen, ein Klima, welches es uns wie eine große Familie zusammenleben lässt.

Noch immer stehe ich auf der Back, gehörig nass von den vermehrt überschlagenden Brechern. Mein Blick gleitet über das endlose Gebirge von Wellen und ihren Tälern. Die Vorsegel schlackern. Mit neuerlichen Flicken bestückt treiben sie die Thor voran und spannen sich weiß über den grauen Wogen. Ich drehe mich um und das Schanzkleid*** rückt in mein Blickfeld. Es ist zerkratzt, ebenso wie die Bordwand von den Fendern**** in den angelaufenen Häfen. Wir und unsere Reise hinterlassen Spuren an diesem Schiff und das Schiff hinterlässt Spuren bei uns…

*Vorderer Teil des Vordecks beim Bug
**das lange, vom Bug nach vorne ragende, mastähnliche Holz, an dem die Vorsegel befestigt sind
***ungefähr hüfthohe Metallwand die Haupt- sowie Vordeck und Back umschließt
****meist aus Gummi oder Hartplastik bestehende Konstruktionen, die das Kollidieren eines Schiffes mit der Hafenmauer verhindern sollen. Oftmals werden auch alte Auto -oder Traktorreifen verwendet.

KUS-Ticker

Freitag, 05.02.2021

Mittagsposition: Hafen Praia, Santiago, Kap Verde
Wetter: Lufttemperatur: 22°C, Wassertemperatur: 23,5°C

  • 13:00: Aufstellung in neuen Wachgruppen
  • 15:35: Ablegemanöver
  • 16:30: Setzen der Segel: Mittelklüver, Baumfock, Breitfock, Schoner, Groß
  • 16:45: Maschinenstopp, Segelbetrieb setzt ein

Samstag, 06.02.2021

Mittagsposition: 13°19´N, 024°24,5´W
Etmal: 70,9 nm
Wetter: Lufttemperatur: 22,3°C, Wassertemperatur: 22,5°C

  • Wachbetrieb für die Unterrichtsgruppen A und B