Alt und staubig? Keineswegs! – Die Bord-Bibliothek

Überall auf dem Schiff hört man geschäftiges Treiben. Bei den Malarbeiten draußen, in der Maschine, die Projektleitung und ihre Assistenten im Salon, das Fototeam in der Messe, der Bootsmann oben im Rigg, die Proviantmeisterinnen und ihre Praktikanten in der Last und natürlich in der Kombüse. Doch diesmal durfte ich nicht nur aus der Ferne erahnen, was sich wohl auf den verschiedenen Stationen am Schiff abspielt – diesmal war auch ich mittendrin. Das kam so:

Ich döste gerade zwischen einem Krimi und einer Liebesgeschichte im Unterhaltungsliteratur-Fach, als plötzlich zwei ungeheuer motivierte KUSis mit unserem Allvater Johannes hereinkamen. Caroline und Isabella stellten sich als die neuen Bibliotheksbeauftragten vor und bekamen erstmal die übliche Einweisung vom Allvater. Meine Nachbarn und ich beäugten unsere neuen Wächterinnen eingehend. Ihr erster Plan war es, Ordnung und Sauberkeit in die altehrwürdige Bib zu bringen – sehr sympathisch bis hierhin. Als sie dann sowohl mit dem Putzen in der Querbank und dem Sortieren der Bastelsachen und Filme fertig waren, machten sie sich daran, jeden von uns einzeln aus den Regalen zu holen, zu checken, ob wir auf ihrer Liste standen und an einer ihrer Meinung nach passenderen Stelle wieder ins Regal zu schieben. Auf diese Weise landete ich ein Fach weiter. Meine Nachbarn schienen beide schon etwas älter. Einer von ihnen wurde sogar, als die beiden neuen Wächterinnen nach einigen Stunden endlich fertig waren, erneut aus dem Regal genommen und vom Allvater mit Klebeband verarztet. Währenddessen machten sich die Wächterinnen auf die Suche nach verlorengegangenen Schwestern und Brüdern, die schon viel zu lange in irgendwelchen Kammern vergessen herumlagen. Auch mir ist so etwas auf dieser Reise schon passiert. Ganze zwei Monate lag ich eingeklemmt zwischen Kleidung und der Wand in diesem Fach! Ganze zwei Monate!! Aber das ist eine andere Geschichte…

Irgendwann waren die Arbeiten in meinem Schlafzimmer abgeschlossen und der Allvater machte sich mit den beiden Wächterinnen auf den Weg zu anderen Stationen auf dem Schiff, um da mitzuhelfen. Es war bis dahin ein wirklich aufregender Tag, aber der Abend sollte noch lang werden…

Mit Abschluss der Schiffsarbeiten gesellten sich immer mehr KUSis zu uns Büchern. Die einen arbeiteten produktiv an ihren Vorträgen, indem sie sich Informationen in einigen der schlaueren meiner Artgenossen durchlasen oder ihre Tafeln vorbereiteten, die anderen fläzten sich gemütlich auf die Polster und erfreuten sich an der Unterhaltungsliteratur. Als es zum Abendessen klingelte, machten sie sich jedoch alle schnell auf den Weg, packten die Laptops weg und trugen die Bücher, die sie ausleihen wollten, ins Buch der Bücher ein. Das Buch der Bücher ist einer meiner ältesten Brüder. Es hat schon so viele KUS-Jahrgänge gesehen und kennt jedes Buch und jede Zeitschrift in der Bib persönlich. Möchte jemand ein Buch ausleihen, muss er sich in das Buch der Bücher eintragen. Außerdem ist das Buch der Bücher der Hüter des „schwarzen Lochs“, einer Öffnung in der Mitte des Tisches. Zwar hat diese Öffnung einen Deckel und ein Gitter, auf dem die Ladekabel darin gelagert werden, trotzdem liegt das Buch der Bücher in diesem Loch und versperrt das Gitter, um unschuldige Stifte, Zettel und Radiergummis davor zu bewahren, in den Tiefen der Bib und somit in den Katakomben des Schiffs, auch Bilgen genannt, zu verschwinden. Im Gegensatz zu kleineren Gegenständen müssen wir Bücher keine Angst vor dem schwarzen Loch haben und können uns nur Geschichten erzählen, wie es dort drin wohl aussehen mag. Sogar die KUSis wissen besser, welches Geheimnis sich dort verbirgt, denn sie sind es, die das schwarze Loch und die Bilge darunter regelmäßig vom Schmutz befreien müssen…

Apropos KUSis – ein paar von ihnen kamen wie immer direkt nach dem Abendessen wieder zurück. Es ist spannend zu beobachten, wer sich hier aufhält. Es gibt einige Stammgäste, die täglich vorbeischauen, einige Gelegenheitsgäste, einige sogenannte „Vortragsgäste“, die nur kommen, um ihre Vorträge vorzubereiten, und dann gibt es auch noch diejenigen, die nur vorbeischauen, wenn sie jemanden suchen. Ich kann mich an kaum eine Stunde erinnern, in der nicht mindestens ein KUSi seinen Kopf zur Tür hereinstreckt. Zumindest die Sicherheitsrunde schaut stündlich vorbei und wenn gerade KUSis in der Bib arbeiten, werden sie gerade von irgendwem aus irgendeinem Grund gesucht. Diese KUSis, immer haben sie was zu tun. Und haben sie nichts zu tun, verbringen sie ihre Zeit mit lesen, basteln, reden oder sogar nähen. Doch wenn der Generator aus ist und die Leselampe und der Strom nicht mehr funktionieren, machen sie sich langsam auf dem Weg in ihre Betten. Nur diejenigen, die etwas noch unbedingt am selben Tag fertig haben müssen, arbeiten bis spät nachts im schummrigen Licht der Deckenlampe, die auch ohne Generator funktioniert, weiter. Bin ich froh, dass ich nur den ganzen Tag zu beobachten und lauschen habe…

Hat dann selbst der fleißigste KUSi seine Arbeit niedergelegt, lausche ich gerne ihren Gesprächen. Der ein oder andere kann mal wieder nicht schlafen und verbringt die Zeit bis zur Nachtwache mit guten Freunden und unterhält sich über Gott und die Welt. Ich muss zugeben, ich bin nun auch nicht mehr der aktuellste Bestseller, deshalb begebe ich mich zu diesen Zeiten meist auch schon ins Land der Träume und Geschichten und freue mich darauf, was der nächste Tag wohl bringen mag.

Kus Ticker

Freitag, 26.03.2021

Mittagsposition: Hafen Praia da Graciosa

  • 09:00: Schiffsarbeiten
  • 11:30: Kammerkontrolle
  • 14:00: Schiffsratssitzung
  • 17:00: Vortrag über Ozeane und Klima von Luis
  • 17:30: Workshops (Abschlussbuch, Musik, Theater, Foto und Video)
  • 20:20: Melanie erklärt (auf der Ladeluke) wie das Salz ins Meer gekommen ist

Samstag, 27.03.2021

Mittagsposition: Ankerplatz, Praia da Graciosa

  • 08:40: Wir verlassen den Hafen und gehen vor Anker
  • 10:00: Unterricht in Kleingruppen
  • 12:30: Mittagspause
  • 13:30: Unterricht in Kleingruppen
  • 17:00: Reinschiff
  • 18:00: Abendessen
  • 19:30: Vortrag zum Wetter der kommenden Woche von Detlef
  • 20:15: Filmeabend „The Greatest Showman“ und Vorstellung des Etappenvideos