Ein karibischer Traum

Wie ist es eigentlich, als eine Gruppe von Schüler*innen ein Segelschiff selbstständig in die Karibik zu führen? Nachdem wir zwei Monate auf der Thor Heyerdahl unterwegs waren, kam es dann auch zur ersten Schiffsübergabe, doch gab es dabei teilweise Zweifel… Wie sollten wir es eigentlich mit erst so wenig nautischer Erfahrung schaffen, ein 50 Meter langes Segelschiff zielstrebig nach Dominica zu bringen? Wie sollte das denn gehen?

Um so eine Übergabe stattfinden zu lassen, gibt es ein paar Positionen, die übernommen werden müssen. Die Stellen als Kapitän*in, Steuermann*frau, Projektleiter*in, Maschinist*in, Bootsmann*frau, Proviantbeauftragte*r, Wachführer*in, Wachführerassisten*in mussten wir Schüler*innen belegen. Am Freitag saß fast jeder von uns in einer Ecke, um unsere Bewerbung zu schreiben, die sich der derzeitige Stamm durchlesen würde, um zu entscheiden, wer welchen Job übernehmen darf. Ich habe mich zum Beispiel als WaFü (Wachführerin) beworben und schrieb in meine Bewerbung meine Begeisterung für die Stelle und ein paar Fähigkeiten, die im Job vielleicht hilfreich sein könnten. Die Aufgaben als WaFü sind es, eine der vier Wachen, die wir haben, zu führen, die Verantwortung für das Schiff und alle an Bord während der Wachzeit zu haben und bei Segelmanövern die eigene Wache anzuleiten. Nach einer langen Lesenacht für den Stamm wurden dann am nächsten Tag die Ergebnisse verkündet. Kapitänin: Lena, Steuerleute: Anton und Annika, Projektleiter: Felix und Michi, Maschinist*innen: Emilia und Torge, Bootsmann: Konrad, Proviantbeauftragte: Sophie und Amelie S., WaFüs: Zoe, Sina, Lilly und Ilka, Wachführerassisent*innen: Anna, Paul, Marlene und Svea und es gab sogar Bewerbungen für Sonderjobs: Amrey wurde Konditorin, Friedrich Werkbeauftragter und Toni wurde unser Ausguck nach Land. Doch bevor Detlef uns das Schiff komplett übergeben konnte, mussten noch drei DIN-A4 Seiten mit Aufgaben erledigt werden, die mit Navigation und Organisation zu tun hatten. Ich habe mich noch mit den anderen getroffen und habe eine ausführliche Tampenrunde (den Belegort und Funktion der Tampen an Bord) und eine sogenannte Halse durchgesprochen. Am selben Samstagabend war es dann endlich soweit: die genaue Einzeichnung unserer selbstgeplanten Route musste zwar nochmal überarbeitet werden, aber schlussendlich schüttelte Detlef Lena die Hand und übergab uns für drei Tage die Thor.

Am Abend fing es dann direkt mit „Segelaction“ an, denn die Steuerleute hatten ausgerechnet, dass wir mit 5,5 Knoten laufen müssten, um zeitig anzukommen, so mussten die Toppsegel im Dunkeln ausgepackt und gesetzt werden. So wie die letzten Tage beschloss ich erneut draußen zu schlafen, doch wie schon die Tage zuvor, machte ich den gleichen Fehler nochmals. Sich mit seiner Hängematte auf Luv zu hängen, endet entweder damit, einen fliegenden Fisch in seinen Schlafplatz zu bekommen, durch Regen nass zu werden, eine Welle abzubekommen oder mit Glück sehr angenehm und ruhig zu schlafen. Nach einer unangenehmen, unfreiwilligen Salzwasserdusche hing ich meine Hängematte ab und beschloss noch die restliche Stunde in der Messe zu schlafen, die wegen schlechter Luft in den Kammern und schlechtem Wetter draußen zum Schlafen freigestellt wurde. Nach kurzer Zeit wurde ich geweckt: „Ilka, Ilka, aufwachen! Es ist 01:30 Uhr, du hast gleich deine erste Wache als WaFü!“ Ich muss gestehen, ich bin nicht gerade die Pünktlichkeit in Person, besonders nicht, wenn es darum geht, mitten in der Nacht aufzuwachen und dann pünktlich zu einer Wachübergabe zu erscheinen, doch diesmal, mit der Motivation als Schülergruppe das Schiff allein zu führen, war ich pünktlich und hoch motiviert. Die Nachtwache war ganz speziell, doch wie jede wunderschön. Gekrönt von einem wieder mal unglaublichen Sternenhimmel verlief sie ohne weitere Probleme und war witzig und voll mit guter Stimmung. Da ich Wache zwei gefahren bin, hatte ich die Chance bis 09:00 Uhr schlafen zu dürfen. Am Vormittag gab es eine Stammbesprechung und uns wurde verkündet, dass der Plan ist, eine Halse um 04:00 Uhr zu fahren! Wie toll ist das denn bitte! Dann auch noch in meiner Wachzeit! Da wir auf der Reise aber erst zwei Mal eine Halse gefahren sind, beschloss ich mit Anna in unserer Wache diese zu simulieren. Für mich hieß das, alle auf die Tampen zu verteilen und die Kommandos zu geben. „Hol durch die Schot, fier auf den langen Bullen, fier auf die Backbord-Gai,…“ Es klappte eigentlich ganz gut, doch ich hatte trotzdem etwas Angst vor der reellen Durchführung. Am Abend gab es dann noch eine Ansage von unserer Kapitänin: Die Halse sollte doch nicht um 04:00 Uhr sondern um 09:00 Uhr mit Signal K (all hands on deck) stattfinden.

Die Nachtwache verlief also ohne Stress normal bis vom Steuerbord-Ausguck gerufen wurde: „Leute, da an Steuerbord ist so ein Schimmern am Horizont!“ Wir waren fast einen ganzen Monat unterwegs, jeden Tag nur Wasser, Wasser und Wasser und ab und zu ein Schiff, aber plötzlich zu wissen und zu sehen, dass nun Land in Sicht ist, war ein besonderes, aber komisches Gefühl für alle. Nachdem auch mit der Zeit Lichter zu sehen waren, beschlossen wir uns alle am Ruder zu treffen und unseren Fund mitzuteilen. Wir schrien alle so laut wie wir konnten. „Laaaand in Siiiiicht!“ Der Niedergang runter in die Messe, wo viele schliefen, war offen. Nach weniger als zehn Sekunden kamen viele an Deck gesprintet, um sich das anzuschauen. Ich glaube, ich habe noch nie erlebt, wie Leute so schnell aufwachen, aufstehen und rennen. Am Morgen darauf war dann direkt Signal K. Alle stellten sich in den Wachen auf und machten sich bereit zur Halse. Meine Wache besetzte den Schoner. „Alle Stationen besetzen und klarmelden!“ Dann kam das Kommando von Lena vom Achterdeck, die Segel Mitschiffs zu holen und auf Steuerbord zu bringen. Auf geht’s! Wir hatten am Anfang einen überraschenden Böen-Einfall, der zu Stress führte; schlussendlich funktionierte aber alles gut und wir meisterten unsere erste selbstständige Halse in 20 Minuten, unserer Meinung nach sehr gut. Eineinhalb Stunden später hatten wir dann auch alle Segel wieder geborgen. Was für ein Erfolg, was für ein Spaß! Das Besondere an der ganzen Aktion war der Ausblick. Wir fuhren mittlerweile schon sehr nah an Land und es war unglaublich. Alles war grün! Eine komplett grün bedeckte Insel, wo Palmen, Regenwald und am Strand ein paar bunte Häuschen zu sehen waren. Wunderschön! Die Einfahrt in die Bucht, wo wir ankern sollten, wurde emotional. Freudentränen kullerten über ein paar Gesichter, alle standen an Deck und bewunderten einfach die unbeschreiblich paradiesische, wunderschöne Sicht. Als wir unseren geplanten Ankerplatz erreichten, war dann alles fast perfekt, denn eine Sache musste noch gemacht werden: Segel hafenfein packen war angesagt. Während der Aktion erinnerten wir uns Deutschland, da es plötzlich stark zu regnen anfing. Nach einer Stunde war alles fertig, wir kamen aufs Hauptdeck und waren überwältigt. Die Backschaft, Konditorin und Proviantbeauftragte hatten große Arbeit geleistet und ein Festmahl vorbereitet. Frisches Obst, selbstgebackenes Brot, Nutella, Croissants, eine Pesto-Blume und sogar Apfelstrudel gab es. Ich habe fast noch nie so gut gefrühstückt. Nach dem Essen machte Detlef noch eine Ansage und wir feierten mit einer absoluten Besonderheit die Ankunft in der Karibik und die erfolgreiche Atlantiküberquerung. Für jeden gab es eine kalte Cola oder Fanta zum Anstoßen.

Doch noch eine Überraschung gab es: Am Nachmittag durften wir vom Ankerplatz an den Strand schwimmen bzw. schnorcheln und so den ersten Fuß an Land setzen. Der erste Sprung in karibisches Gewässer! Diese 500 Meter waren unglaublich! Man konnte bis auf den Meeresgrund schauen und wir beobachteten Korallen, Fische, Seeschlangen und Seesterne, doch leider auch etwas Müll, den wir hochholten und an den Strand brachten und entsorgten. Am Strand machten wir auch unser Weihnachtsbild, Annika hielt einen Vortrag über Dominica und wir aßen in einem kleinen Strandlokal zu Abend. Später gab es noch eine Tanz-Karaoke-Session und wir fuhren im Dunkeln zurück zur Thor.

Diese Nacht schliefen über 25 Leute an Deck und wir konnten alle überglücklich ausnahmsweise ohne Schiffsbewegung die Augen schließen.

KUS-Ticker

Sonntag, 10.12.2023

Mittagsposition: 15°38,6‘N; 059°14,4’W
Etmal: 143 sm
Wetter: Lufttemperatur: Wassertemperatur Wind:

  • 17:00 Uhr: Besanschot-An

Montag, 11.12.2023

  • 10:00 Uhr: Halse
  • 11:00 Uhr: Ankunft in Dominica
  • 12:00 Uhr: großes Brunch-Buffet
  • 17:00 Uhr: Schwimmen an Land
  • 18:00 Uhr: Vortag von Annika über Dominica
  • 19:00 Uhr: gemeinsames Essen an Land