Rendezvous im Weltall

Ich öffne ein Auge, es dämmert, dann noch eins. Es ist still, nur leichtes Rauschen, Gluckern, ab und zu das gedämpfte Rattern der Kette des Ruderantriebs. Langsam komme ich zu mir – ja, wir haben gestern Abend bei 7 Knoten Fahrt die Maschine ausgemacht. Deshalb ist es so ruhig.

Die Bewegungen des Schiffes sind unregelmäßig, aber weich, fast so, als wenn man über einen welligen Tiefschneehang fährt. Wie schnell wird sie jetzt laufen? Ich schätze es sind so um die 6 Knoten. Viele Reisen haben meinem Körper ein Gefühl dafür gegeben, was das Schiff macht, selbst wenn ich in der Koje liege. 6 Knoten bei dem bisschen Wind, das ist nicht schlecht. Aber dafür haben wir ja Vollzeug gesetzt, dafür laufen wir immer wieder über das Schiff und zuppeln hier und zuppeln da am Segeltrimm.

Noch weiß ich nicht, dass der heutige Tag vom Seglerischen her ein Höhepunkt dieser Etappe werden wird.

Er beginnt mit der üblichen Morgen-Routine: Die Nase in den Wind halten, der Wache ein paar Tipps geben, wie die Segelstellung optimiert werden kann, den Abruf der Wetterdaten anschmeißen (dauert!), ein Blick auf die Seekarte werfen. Frühstücken gehen! Vielleicht auch Duschen – die Wassertanks sind gerade randvoll!

Ich bin gerade dabei, Wetterkarten und -daten auszuwerten und die geplante Segelroute entsprechend anzupassen, da meint jemand: „Da ist die Roald auf dem AIS!“ Oops – die Roald Amundsen, eine Brigg unserer Größe mit Heimathafen Eckernförde, in UKW-Reichweite? Obwohl sie in St. George’s auf Bermuda doch über einen Tag vor uns ausgelaufen ist – ebenfalls mit Ziel Azoren? Das überrascht mich. Aber sie ist es, zweifelsfrei, und sie läuft von Südwesten her schräg auf unsere Kurslinie zu. Eine Stunde später ein Funkspruch: „Thor Heyerdahl, Thor Heyerdahl für Roald Amundsen!“ Conny, die Kapitänin schlägt vor, uns zu treffen… Kurz kommt mir das komisch vor, aber warum nicht? Wenn sie zu uns nach Norden kommen, wo wir auf unserer Windautobahn auf 38°15‘N mit 5-6 kn nach Osten laufen, dann bin ich dabei! Da die Funkverbindung noch schlecht ist, verabreden wir uns für später.

Nun ist die Spannung natürlich geweckt – immer wieder tigern wir alle um die elektronische Seekarte herum, auf der auch das AIS-Signal der Roald dargestellt wird, und gucken, wo sie ist und ob es klappt mit dem Rendezvous. Bald sehen wir auch die beiden Masten am Horizont, die langsam näherkommen. Im Laufe der Zeit wird klar: Wir sind zu schnell und werden ihnen davonfahren, wenn wir nichts tun. Also langsamer. Immer wieder stellt sich heraus, dass es gar nicht so einfach ist, ein Schiff zu bremsen, wenn es laufen will. Wir nehmen ein Segel nach dem anderen weg, aber sie (die Thor) läuft und läuft… Schließlich muss Plan B her: Wir werden unsere Kurslinie verlassen, anluven und auf sie zu fahren. Kurze Funkabstimmung mit Conny: Läuft!

Gesagt, getan! Als der Abstand nur noch 2 sm beträgt, drehen wir nach Steuerbord auf sie zu – Kommando „Alles setzen!“ Schließlich wollen wir ja nicht wie ein abgetakelter Kahn mit auf halb acht hängenden Segeln vor die Linsen der Roald-Kameras fahren! Sogar der Flieger geht hoch – nun haben wir wirklich Vollzeug, alle 14 Segel blähen sich im Wind. Sofort geht die Speed auf fast 7 kn hoch und wir rauschen auf die Roald zu, die gemächlich vor sich hinsegelt. Ein Gedanke durchzuckt mein Hirn – so müssen sich die Freibeuter der alten Zeiten gefühlt haben, wenn sie mit ihren schnellen Schiffen zum Angriff übergegangen sind! Eine gewisse Aufregung stellt sich ein, wo genau hinzielen, die Vektoren auf der elektronischen Seekarte überprüfen (dessen mussten die Freibeuter freilich entbehren…!). Nun fehlt nur noch: „Klar zum Entern!“

Aber nichts läge uns ferner als ein Angriff – wir wollen den Anblick eines voll getakelten Großseglers in der Nachmittagssonne aus der Nähe genießen, Fotos machen, den Moment auskosten, dass sich hier – mitten in den Weiten des Atlantiks – die zwei Flaggschiffe aus Kiel und Eckernförde begegnen! Es ist fast unwirklich. Als wir etwa drei Schiffslängen hinter ihrem Heck durchlaufen und auf Parallelkurs abfallen, ertönt das Typhon mit der Grußformel 3x lang, 1x kurz. Die Antwort kommt sofort. Alle winken, die Kameras müssen fast gekühlt werden… Ein toller Moment!

Wir tauschen natürlich noch verschiedene Informationen aus, über das Wetter und die Route, unsere Bordärztin Veronika wird noch einmal um Rat gefragt und wir wünschen uns gegenseitig eine gute weitere Reise. Langsam vergrößert sich der Abstand wieder – die Roald hat gehalst und läuft wieder nach Südosten zurück, wir halsen ebenfalls und laufen wieder etwas weiter nordöstlich, um unseren Windpatch wiederzufinden.

Ein reicher Tag geht zu Ende! Reich an Erlebnissen und auch an skurilen Situationen – wann wäre die Vorbeifahrt der Thor Heyerdahl schon einmal als „mit Lichtgeschwindigkeit“ beschrieben worden, wie von Conny am Funk nach der Passage? Nein, ein Racer sind wir wirklich nicht!

KUS-Ticker

Mittwoch, 06.03.2024

Mittagsposition: 38°14,4’N; 048°51,2’W
Etmal: 144 sm
Wetter: Lufttemperatur: 19°C, Wassertemperatur: 19°C, Wind: WSW 4-5
Gesetzte Segel: AK, MK, IK, Br, M, BrF, S, GSS, G, GT, B, BT, zeitweise: BF und Fl

  • 16:00 Uhr: Treffen mit der Roald Amundsen
  • 17:00 Uhr: Halse
  • 20:00 Uhr: Halse