Endspurt Unterricht

Ich erinnere mich zurück an die letzte Seeetappe, der Weg zu den Azoren. Neben dem normalen Wachbetrieb gehörte auch wieder der Unterricht zu unserem Bordalltag dazu. In zwei gleichgroßen Gruppen hatten wir abwechselnd an einem Tag Wache oder Backschaft und am nächsten Tag Unterricht. Eine der Englischstunden blieb mir besonders in Erinnerung. Auf dem roten Hauptdeck saß ich mit vielen anderen Kusis. Neben uns lehnten sich weitere an Nagelbänken an, saßen auf Backskisten oder einzelne auch auf den Niedergängen. Die Sonne strahlte in unsere Gesichter und trotz des Windes war die Temperatur angenehm warm. Weit und breit nur das Meer neben uns. Glitzernd spiegelten sich die Sonnenstrahlen in der sich langsam, lang ziehenden Dünung. Die Thor glitt ruhig in rollenden Bewegungen über die Wellen. Nur noch wenig Seegang war zu spüren, doch immer wieder brachten uns die gigantischen Wassermassen unter uns ins Schwanken. Gerade waren wir dabei, unser neues Thema, die USA und Großbritannien, anzufangen. Plötzlich wurden wir von einer Welle überrascht und das Deck wurde mit einer Schicht Wasser überspült. Ohne zu überlegen sprangen Laura, die neben mir saß, und ich auf. Sofort fingen wir wegen unserer nassen Beine und Füße an zu lachen. In diesem Moment war es unfassbar lustig. Die Englischstunde ging natürlich trotzdem weiter, auf das Deck setzte sich niemand mehr. Solche kleinen Momente hatten wir immer wieder auf der Thor. Plötzlich wird man von einer unerwarteten Welle überrascht oder es ist selten einfach mal komplett ruhig und nichts bewegt sich.

Auf See ist der Unterricht besonders und völlig unterschiedlich zu dem, wie wir ihn zuhause gewöhnt sind. Am Anfang war es ungewohnt, auf Bänken in der Messe eng aneinander zu sitzen. Kleinere Klassen, andere Zeiten, weniger Fächer. Man gewöhnte sich aber schnell und leicht daran. Es herrschte ein ganz anderes Klima während der Stunden. Irgendwie entspannter, dadurch, dass man mit seinen Lehrerinnen und Lehrern und Mitschülerinnen und Mitschülern auch zusammen lebt, Wache geht, aufwacht, Zähne putzt und kocht, kommt es einem gar nicht richtig wie Unterricht vor. Trotzdem ist es gleichzeitig auch ernst und ist auch irgendwie wie Schule. Vorher frühstücken alle gemeinsam auf der gedeckten Backbord-Seite der Messe, unseres größten Raumes an Bord. Kurz danach holt sich jeder seinen Ordner und Mäppchen und fünf Minuten nachdem man seine letzte Scheibe Brot gegessen hat, sitzen alle auf der Steuerbord-Seite, bereit für den Unterricht, oder man trifft sich an Deck. Es ist verrückt, darüber nachzudenken, dass wir am gleichen Ort Unterricht haben, essen und unsere freie Zeit verbringen. Unter Deck wird unterrichtet, wenn schlechteres Wetter, starker Wind oder viel Seegang ist. Bei starkem Seegang kann es sehr lustig werden, solange die Seekrankheit nicht zuschlägt. An manchen Tagen, vor allem, als wir durch den Sturm segelten, mussten wir uns teilweise sogar festhalten, dass wir nicht von den Bänken rutschten. Während auf der Backbord-Seite eine Wache frühstückt, werden auf der anderen Themen durchgenommen, die sich meistens auf die Seefahrt oder Länder beziehen, die wir ansteuern. Dadurch entsteht ein größerer Bezug, wodurch Inhalte leicht verständlich werden. So behandelten wir in Geschichte zum Beispiel bekannte Seefahrer, in Physik die perfekten Segelstellungen und dabei auftretende Kräfte oder in Geographie Windsysteme.

An sonnigen Tagen findet Unterricht an Deck statt. Der Wind bläst die frische Seeluft über unsere Haut. Das Flattern der Blätter ist zu hören, aber da heißt es „Warschau[1] – gut festhalten“, nicht, dass sie wegfliegen. Versuche werden oft auch praktisch durchgeführt. In der Freiarbeit bekommen wir die Möglichkeit, Themen zu wiederholen, Übungen zu machen oder auf unsere Lehrerinnen und Lehrer mit Fragen, die entstanden sind, zuzugehen.

Langsam neigt sich die Reise leider schon dem Ende zu und somit auch der Unterricht. In wenigen Fächern haben wir gar keine Stunden mehr. Dass wir uns gezielt auf Fächer, die nicht unterrichtet werden, wie einige Sprachen oder Nebenfächer, gibt es Addita. Mit einem individuell erstellten Lernplan teilen wir uns selbstständig unsere Ziele ein und verfolgen diese. Während der letzten Land- und Seeetappe haben wir außerdem die Chance bekommen, uns gezielt in einzelnen, selbstgewählten Fächern auf die Oberstufe vorzubereiten, eventuell entstandene Lücken zu füllen oder Themen anhand von Aufgaben zu wiederholen. Diese Möglichkeiten helfen vielen, gut in die Oberstufe zu starten.

Die Art des Unterrichts auf der Thor differenziert sich eindeutig von zuhause. Manche Tage, Stunden beziehungsweise Fächer werde ich wahrscheinlich nie vergessen. Es ist wertvoll, diese Erfahrung des Lernens gemacht zu haben. Aber noch mehr, als wie wir jemals durch den Unterricht lernen könnten, erlernen wir jeden Tag unbewusst durch neue Herausforderungen oder Aufgaben, die uns bevorstehen und die wir bewältigen.

[1] „Warschau“ steht für „Vorsicht“ oder „Achtung“

KUS Ticker

Montag, 15.03.2021

Mittagsposition: 38°34,6’N 027°18,9‘W
Wetter: Lufttemperatur:15°C Wassertemperatur:16°C

  • 07:30–10:00: Frühstück in den Wachen
  • 12:00: Mittag
  • 15:15: Geburtstagskaffee von Lisa
  • 16:00: Lotse kommt
  • 16:30: EL Praia da Vitoria – Terceira
  • 17:00: Schiff hafenfein, Segel packen
  • 18:30: Abendessen

Dienstag, 16.03.2021

Mittagsposition: Praia da Vitoria – Terceira
Wetter: Lufttemperatur:16°C Wassertemperatur:16,5°C

  • 07:30: Frühstück
  • 08:15: Backschaft & Reinschiff
  • 09:15-16:00: Unterricht (7h)
  • 17:30: Vortrag Käse (Jonas)
  • 18:00: Abendessen