Unser kleines großes Zuhause

49,83 m lang, 6,52 m breit, der Rumpf Stahl, geschweißt und die Masten aus Holz. Ihr Name, Thor Heyerdahl. Und für mich? Für mich nach fünfeinhalb Monaten schon ein zweites Zuhause.

Zuhause…- vor der Reise konnte ich kaum glauben, diesen großen Traditionssegler einmal so zu nennen. 50 Personen, die 196 Tage aufeinandersitzen und zusammen über den Atlantik segeln. Dies als Zuhause, wo man sich geborgen und bei jedem Sturm sicher fühlt?

Meine Antwort nach der bisherigen Zeit: Auf jeden Fall!

Es ist Sonntag und von der gestrigen Front schaukelt die Thor noch etwas. Doch den Seegang sind wir inzwischen alle gewohnt und haben ein gewisses Vertrauen in das knarzende Holz. Wir haben 9:30 Uhr. Ich setze mich zu meiner Wache und wir frühstücken gemeinsam. Es wird viel gelacht und die Schiffsbewegung lässt den Obstsalat fliegen lernen. Unsere Wache (Wache 1) ist mittlerweile ein gut eingespieltes Team und nach einer Motivationsrakete (wir stellen uns in einen Kreis und zählen einen Countdown von fünf runter, bevor wir unsere Hände in die Mitte strecken und jubeln) machen wir uns fertig für die Wache. Auf dem Achterdeck versammelt, wünscht die abziehende Wache der aufziehenden Wache eine „Gode Wach“ und die aufziehende Wache der abziehenden Wache eine „Gode Ruh“. Diese Gesprächsabfolge ist zu einem richtigem Ritual geworden. So vertraut, dass ich letzte Etappe während der Zeit meines Praktikums (in der man keine Wache geht, sondern abwechselnd einen Tag Praktikum und einen Tag Schule hat) die Worte schon richtig vermisse.

Meine Wachführerin Carlotta bringt mir während der Wache bei, wie man den Kurs zu dem richtigen Wind anpasst und ich freue mich, wieder etwas Neues gelernt zu haben.

Nachdem wir die Wache übergeben haben, verlasse ich das Achterdeck und gehe den Niedergang nach unten in die Messe. Jeder Schritt ist mittlerweile vertraut und auch wenn ich das erste Mal auf der Thor noch Angst hatte, nie die vielen Namen der neuen Räume, Segel, und Tampen auswendig zu können, so sitzt mittlerweile jeder Handgriff. Unten erwartet mich die bekannte Geräuschkulisse aus spielenden, diskutierenden und musizierenden Personen. August, Jaron, Felix, Max und Moritz spielen Schummel Hummel, Paul und Zoe führen eine Diskussion aus dem Deutschunterricht fort und Ilka und Marlene singen Shantys. Mit einem Lächeln gehe ich durch den Gang und mache vor der Bibliothek halt, in der Michael und Anton, zusammen Astronaviaufgaben bearbeiten. Eine gemütliche Atmosphäre hat sich eingespielt und alle sind glücklich, dass wir den Sturm überstanden haben. Ich laufe weiter, an Kammer 1 vorbei, in der ich aktuell wohne, in die Last. Dort finde ich Guilhelm an der Werkbank, der Friedrich erklärt, wie man einen Zeiser spleißt.

Der Nachmittag vergeht wie im Flug und vor dem Abendessen hören wir noch einen Vortrag von Toni über Schlaf. Ein wichtiges Thema an Bord, denn wenn Segelaktion ansteht oder auch gerade, wenn der Seegang etwas mehr wird, ist es sehr relevant, dass jeder konzentriert und wach ist. Doch auch dies haben wir im Laufe der Reise lernen müssen und verstanden, Rücksicht auf die Menschen zu nehmen, die schlafen wollen. Wir alle, die 50 Personen, die sich am Anfang der Reise noch kaum bis gar nicht kannten, haben sich in dieser Zeit zu einer richtigen Seemannschaft zusammengefunden. Jeder respektiert und wertschätzt den anderen und macht das Schiff zu unserem kleinen großen Zuhause.

Abends gehe ich nochmal auf das Achterdeck und sehe mir den Sonnenuntergang an. Während dessen singen wir Seemannslieder von „Old Maui“ bis „Loch Lomend“ und gemeinsam schallen unsere Stimmen über die weite See. Und in mir macht sich ein Gefühl von Geborgenheit breit. Vertrautheit. Gemeinschaft. Zuhause.
Die Thor und ihre Segelcrew, mein zweites großes kleines Zuhause.

KUS-Ticker

Sonntag, 10.03.2024

Mittagsposition: 35°45,7’N; 038°13,2’W
Etmal: 153 sm
Wetter: Lufttemperatur: 18°C, Wassertemperatur: 18°C, Wind: SW-WSW 5-7

  • 18:30 Uhr: Vortrag über Schlaf